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Pallieter

Pallieter

Titel: Pallieter
Autoren: Felix Timmermans
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Mauer gelehnt, mehr oder weniger scheu vor den schmutzigen Landstreichern, lauschten die Bauersleute verwundert auf die Musik aus fremden Landen.
    Als das Lied zu Ende war, ging der Hoboist mit seiner Mütze herum und bekam von jedem etwas. Dann spielten sie noch ein kurzes Liedchen und zogen mit schleppenden Schritten ab. »Ich geh mit,« rief Pallieter, »es is zu schön, kommt, ich will euch die Gehöfte zeigen.« Und er ging mit ihnen von Gehöft zu Gehöft, und seine Bewunderung für die schmutzigen Landstreicher und ihre schöne Musik stieg mehr und mehr.
    Pallieter fragte sie aus, aber sie antworteten kurz und gleichgültig, daß sie aus Spanien kämen über Frankreich, daß sie früher Südrußland besucht hätten, Italien und Tirol, die Schweiz, und daß sie nun über Holland nach Norwegen zögen und so fort.
    Er hätte den Hut vor ihnen abnehmen können, vor diesen Männern, die umherschweifend überall ihr Leben mit Musik aus allen Ländern füllten. Etwas Riesiges war in ihnen. Es waren Dichter. Inzwischen war der Himmel aufgebrochen, und nun stand die Sonne wohltätig am Himmel, sie schickte ihren süßen Schein über die Welt, legte Purpur in die knospenden Bäume und tropfte Silber auf die überschwemmten Wiesen. Auf den Äckern standen die Menschen und schafften auf den Bäumen und in der Erde, und in den Gärten gruben die Gärtner die Gemüsebeete um. Das gab einen guten Duft. Das Land war still, und ferne Wagen, die selbst unsichtbar blieben, ließen ihr friedliches Gerumpel hören.
    So von Gehöft zu Gehöft gehend, kam ihnen bei dem armen Krankenhäuschen ein Trüppchen Genesende entgegen, von vier weißen Nönnchen geführt. Sie nützten das Wetter aus und freuten sich über die gute, angenehme Sonne. Es waren alles arme Schlucker und schlampige Frauen. Manche schleppten sich auf Krücken fort; eine Nonne zog ein Wägelchen, in dem ein ,Tod von Ypern’ lächelte, und ein Mann ohne Beine stieß sich selber mit Bügeleisen vorwärts. Eine große, magere Frau stützte sich auf den Arm einer dicken Schwester; da waren welche mit Tüchern um den Kopf, Männer mit einem Bein oder mit schwarzen Binden vor den Augen, schwindsüchtige Frauen und kränkelnde Kinder. Während die einen weiterkrochen, überall den schweren Krankenhausgeruch mittragend, saßen andere auf gefällten Bäumen und plauderten oder guckten den Arbeitsleuten auf dem Acker zu. Als Pallieter all die elendigen Menschen sah, die froh waren über ein bißchen Februarsonne, sagte er den Zigeunern, sie möchten hier ein Liedchen zum besten geben.

     
    Die vier fingen an, auf den Instrumenten zu blasen, und siehe, die Kranken kamen alle so schnell wie möglich herangehumpelt und scharten sich im Kreis um die Musikanten.
    Ein dicker Kerl, dem ein Bein abgenommen war, hob auf einmal die Krücke in die Luft und fing an, auf einem Bein und auf der anderen Krücke zu tanzen, und rief: »Ich bin gesund, ich darf nach Haus gehn!«
    Die Kranken lachten, und die Nonnen fanden es sehr vergnüglich.
    Aber dort an der Tür eines Wirtshauses erschien Franzoo und rief, so laut er konnte, nach Pallieter. »Kommt,« sagte dieser zu den Zigeunern, »dort wollen wir einmal Dudelsackbier trinken!«
    Das war den vier Männern gerade recht. Und sie gingen. »Sieh,« sagte Pallieter zu Franzoo, »das sind vier singende Federn, die fliegen überallhin mit dem Wind.« — »Vetter,« rief er, »das sind Wagners, Palestrinas, Beethovens, die nur auf ihren Instrumenten sprechen können. Gebt ihnen Bier!« Sie bekamen jeder einen Krug Doppelbier, und sie tranken gierig, daß es ihnen über das Kinn lief.
    »Habt ihr Hunger?« fragte Pallieter, und er schlug sich dreimal mit dem Finger an den Mund.
    »Dann kommt ihr zu mir zum Essen!« rief Franzoo.
    »Und wollt ihr dann auch das Schönste spielen, was ihr könnt, daß die ganze Welt sich in Musik auflöst für uns?«
    »Ja!« nickten die Männer.
    »Dann erst noch getrunken!« Und sie bekamen frische Krüge Doppelbier, sie rauchten Zigarren, und zu sechs soffen sie wie echte Templer.
    So saßen sie noch da, als die frühe Dämmerung einbrach, und dann gingen sie zu Franzoo.
    Das Land badete in der Sonne, die hinter einem schwarzen Baumklumpen rot unterging. Das Nethewasser, wieder hoch gestiegen, nahm das Rot gierig in seinen Spiegel auf, und die schwarzen, kahlen Bäume wurden zart davon gestreichelt.
    Als die Sonne weg war, hing das goldene Rot noch lebendig auf dem Kreuz der hohen Mühle, die ruhig in der
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