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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition)
Autoren: Lavie Tidhar
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würde da sein. In gewisser Weise, dachte er, war sie immer da gewesen, hatte am Rand des Blickfelds, wo Licht auf Wasser traf und sie entstehen ließ, auf ihn gewartet. Über seinen Augen lag ein Film aus Tränen, und er wischte ihn nicht weg. Wir sind alle Schatten, dachte er – Geister, die Unerklärten. Wir sind böse Omen, die sich nur unter bestimmten Umständen zeigen. Er dachte an die Betten, in denen er schlief. Sie waren nie durcheinander, wenn er aufwachte. Nie konnte er sich daran erinnern, geschlafen zu haben. Er war einfach … er war einfach nicht da. Diese Erkenntnis brachte keine Erleichterung. Sie war bloß da, so wie die Stimmen der anderen, die in der Ferne flüsterten. Mit verschwommenem Blick betrachtete er die fernen Berge, wo nichts wuchs. Ein Nebelschleier schimmerte über dem rotbraunen Staub, und durch diesen Nebel tauchte sie auf, eine kleine, verletzliche Gestalt, ganz allein auf diesem Streifen Straße, hinter ihr leerer blauer Himmel und die Berge wie Vorboten einer Beerdigung.
    »Ich habe ihn gefunden«, sagte er. Seine Stimme klang hohl, ein verlorenes kleines Ding, das sich im Freien auf diesem Hügel über der stillen Stadt abmühte. Dann wühlte er in seinen Taschen und fand die schwarze Karte, die sie ihm gegeben hatte, zu Hause in seinem Büro in Vientiane, das inzwischen nur noch kaum mehr als ein Traum zu sein schien. Er machte einen Versuch, sie ihr zurückzugeben, doch sie ignorierte die Geste, worauf er sie nach kurzem Zögern auf den Boden fallen ließ, wo sie mitten im Staub zu verschwinden schien. Die Karte war nicht realer, erkannte er, als sonst irgendetwas – ein Requisit, eine fabrique , eine Torheit. Noch einmal sagte er: »Ich habe ihn gefunden« und hasste den Klang seiner eigenen Stimme, doch sie lächelte und sagte: »Ich wusste, dass du es schaffen würdest.«
    Über die Kluft zwischen den Hügeln hinweg standen sie einander gegenüber. Im Hintergrund lag Mike Longshotts Haus, ein heruntergekommenes Schloss, in seiner eigenen Stille. Dick und sirupartig wie ein Traum lastete die Hitze schwer über dem Land. Sie sagte: »Ich habe dich vermisst.«
    »Nein, nein«, sagte er. »Du hast mich gefunden.«
    Darüber lächelte sie erst und runzelte dann die Stirn. Eine Locke fiel ihr ins Gesicht, und sie ließ sie dort. Joe verspürte den Impuls, die Hand auszustrecken und sie wegzuwischen, nahm sich aber zusammen. »Erinnerst du dich?«, sagte sie. Das kam, fand er, mit einer gewissen Eindringlichkeit heraus. Er sagte: »Ich erinnere mich, wie du in mein Büro gekommen bist. Du hast mich engagiert, um ihn zu finden …« Er deutete auf das Haus. Er wusste, dass es nicht das war, wonach sie fragte, fürchtete sich jedoch vor der anderen Antwort. Mit einem Mal fürchtete er sich zu Tode.
    Die Frau funkelte ihn an. » Verdammt noch mal!«, sagte sie. Ihre Stimme war wie eine Explosion, und sie erschreckte ihn. Er trat einen Schritt zurück, worauf sie einen vorwärts machte. »An mich , du Mistkerl! Ob du dich an mich erinnerst! Ob du …« Sie holte tief Luft, als versuchte sie, sich zu fangen. Sie sah sehr zornig aus. Da spürte er, oder wusste von irgendwoher tief in seinem Inneren, dass sie die Art von Zorn besaß, die die Erde zum Erbeben bringen und Berge entstehen lassen konnte. Außerdem, ergänzte etwas in ihm, eine Stimme, die er verzweifelt zum Verstummen zu bringen versuchte, besaß sie diese Art von Liebe.

Joe
    »Du magst Schwarz-Weiß-Filme und Detektivgeschichten«, sagte sie. Alles kam in einem Schwall heraus. Die Sonne fiel sanft den Himmel hinunter. »Du magst Malagaeis, Sauerteigbrot, Butter und keine Margarine, Salat, aber ohne Zwiebeln.« Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie sagte: »Rote Bete und Avocados magst du gar nicht, Politik interessiert dich nicht, du schläfst gerne auf der rechten Seite des Betts, sofern sie der Wand zugekehrt ist. Nachts drehst du gerne das Kissen um, damit du auf der kühlen Seite weiterschlafen kannst. Du hasst Leute, die langsamer gehen als du. Du kannst bügeln, aber sehr langsam, hast keine Ahnung, wie eine Waschmaschine funktioniert, und lässt gerne deine Kleider auf dem Boden liegen, damit du sie am nächsten Morgen gleich wieder anziehen kannst. Deine Unterwäsche wechselst du täglich, ziehst aber ein und dieselbe Jeans an, bis sie zu müffeln beginnt. Du hast geweint, als dein Großvater starb, du magst romantische Komödien, was du aber nur in betrunkenem Zustand zugeben würdest, du trinkst nur in
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