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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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krebsrot und steif. Aggressive, kantige Marineoffiziere, die mit larvenartigen Bettelkindern spielen. Bleichgesichtige Levantiner mit schmalen Augen und Hakennasen. Armenier mit missmutigem Mund und großen goldbraunen Augen. In der hellen Sonne und den jähen Schatten verschwimmen die Gesichter der Passanten. Gesichter glatt und gelb wie Melonen, stählern wie Äxte. Gesichter wie Kürbisse, wie Totenköpfe und Halloweenlaternen und Kokosnüsse und sprießende Kartoffeln. In dem brutal gleißenden Licht verschwimmen braune Gesichter unter einem Fes, gelbe Gesichter unter Strohhüten, blasse nordische Gesichter unter Khakimützen zu einem Gesicht, die Brauen mürrisch und zusammengezogen, die Augen leidensschwarz, straffe Haut über den Wangenknochen, hungrige Linien um die Mundwinkel, die Lippen unruhig, neidisch, wütend, sinnlich. Das Gesicht eines Mannes, der noch nicht ganz verhungert ist.
    Diese Gesichter sind die Noten, die auf den vibrierenden Saiten dieses Gewirrs enttäuschter Existenzen namens Pera gezupft werden. So viele Fäden führen aus diesem Labyrinth heraus. Wenn man nur zurückgehen könnte in die steil ansteigenden, schmutzigen Straßen, vorbei an den überhängenden schwarzen Holzhäusern, von denen dickbeinige Frauen mit kajalgeschminkten Augen hinabschauen zu den Trägern, die unter ihrer schweren Last die ausgetretenen Stufen hinaufwanken und dermaßen schwitzen, dass ihnen das Rot ihres Fes in Streifen über die hageren und unrasierten Wangen läuft; durch plötzlich platanengesäumte Gassen, die gelegentlich einen Blick freigeben auf unglaublich weites blaues Meer oder erdfarbene Hügelketten zwischen schiefen und fein gearbeiteten türkischen Grabsteinen, die hinausführen zu den weglosen Schutthaufen abgebrannter Orte, zu einer eingestürzten Kuppel mit einem bröckelnden Minarett, zu Ruinen oder verfallenen Zisternen, in denen Gelegenheitsdiebe und Obdachlose hausen; oder hinunter durch die Straßen von Galata mit ihren Obstständen und den Griechinnen, die auffordernd in der Tür stehen, und den Matrosenkneipen, in denen mechanische Klaviere klimpern oder eine Blaskapelle spielt und das Tanzen der engumschlungenen Paare an die Wellenbewegung des Meeres erinnert; oder durch die kühlen Basare von Stambul, wo im Halbdunkel unter dem azurblauen Gewölbe persische und griechische und jüdische und armenische Händler bedruckte Stoffe und Manchesterware ausbreiten, die ein einzelner stauberfüllter Sonnenstrahl in ein flammendes Farbmeer verwandelt; oder zu den Palastruinen am Bosporus, in denen Flüchtlinge von irgendwoher in lähmendem und beengtem Elend hausen; oder in die prachtvollen, protzig eingerichteten Wohnungen an der Grande Rue de Pera, in denen griechische Millionäre und syrische Kriegsgewinnler unablässig Gesellschaften geben. Oder zu den Höfen und Durchgängen, in denen die Russen schlafen, zusammengekauert wie Schafe im Schneesturm. Eines Tages könnte man irgendwo vielleicht den Kern finden, den Schlüssel, um diese komplizierte Arabeske lesen zu können, die gedankenlos auf einen Grund von schierem Schmerz hingeschrieben wurde.
    An diesem Nachmittag kann ich nur dasitzen und opalweißen Ouzo mit Wasser trinken, ermattet von dem eigentümlich schönen monotonen Klagen des türkischen Orchesters. Vom Schwarzen Meer her ist ein kühler Nordwind aufgekommen, der Staub und Papierschnipsel über den Taksim-Platz wirbelt.
    Vorbei an den wartenden Droschken, die er ebenso ignoriert wie die roten Trambahnen und die siegreichen Wickelgamaschen der griechischen Offiziere, den Kopf mit der bestickten Kappe gegen den Wind geneigt, die mandelförmigen Augen wegen des Staubs zu schwarzen Schlitzen verengt, mit kleinen Schritten in schwarzen bestickten Pantoffeln, in einem fließenden roten Seidengewand, dessen Ärmel im Wind flattern, geht ein Mandarin aus China.
    Cathay!

7. Konstantin und die Klassiker
     
    Der kleine Monsieur Moscoupoulos warf die Patschhände in die Luft.
    «Aber die Türken haben nicht die griechischen Klassiker studiert. Sie sind ungebildet. Nicht einmal die Abgeordneten wissen etwas von Aristophanes oder Homer oder Demosthenes. Et sans connaître les classiques grecs on ne peut être ni politicien, ni orateur, ni diplomate . Die Türkei gibt es nicht. Ich versichere Ihnen, Monsieur, es ist eine einzige Räuberbande. Und diese Stadt», wir sahen aus dem Fenster des Pera Palace auf ein vorbeifahrendes Automobil der Alliierten, «Sie kennen ja die Legende. Ein
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