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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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Terrasse aßen Monsieur Deinos und die beiden hochgewachsenen Griechinnen mit Amorbogenmündchen Pistazien und tranken Ouzo im amethystfarbenen Dämmerlicht. «Griechenland», fuhr Monsieur Deinos fort, «war schon immer das Bollwerk der Zivilisation gegen die Barbaren. Inspiriert von Marathon und Salamis und, wie ich hoffe, mit Hilfe und Wohlwollen der Amerikaner wird Griechenland wieder seine historische Mission erfüllen ...»

III   TRAPEZUNT
1. Nachmittagsschläfchen
     
    Zwischen Inebolu und Samsun. Liege auf dem leeren Bootsdeck des italienischen Dampfers Aventino , einem klapprigen, vormals österreichischen Schiff, auf dieser Fahrt leer bis auf ein paar hundert russische Soldaten, repatriierte Gefangene, die im vorderen Laderaum zusammengepfercht sind. Ich liege auf dem Bauch. Die Nachmittagssonne sticht durch das Hemd auf meinen Rücken, den ich mir bei dem Badeausflug auf Prinkipo verbrannt habe. Zwischen Deck und Rettungsboot sehe ich schläfrig eine weite Wasserfläche, graugrün wie eine Taubenbrust, und dahinter die khakifarbenen Berge von Kleinasien, in enormen Falten ansteigend bis zu weißen Wolken, die in schiefergrauem Dunst dahintreiben. Der Wind fährt mir durchs Haar und flüstert mir ins Ohr. Das Deck unter mir zittert warm vom Stampfen der Maschinen. Es gibt keine Vergangenheit und keine Zukunft, nur den schläfrigen, unerklärlichen Sog der Bewegung über die rollenden Wellen in Richtung Sonnenaufgang. Kein Opium ist so süß wie der sorglose Schlaf auf einem Schiffsdeck an einem sonnigen Sommernachmittag, wenn man nicht weiß, wann man wo ankommen wird, wenn man Ost und West vergessen hat und seinen Namen und seine Adresse und wie viel Geld man in der Tasche hat.
    Und dann, wieder wach, sehe ich den schimmernden blauen Himmel, denke an Stambul und die interalliierten Polizisten und die Wanzen im Pera Palace und die langen Schlangen von zerlumpten Leuten, die auf Visa warten, und die blauen Augen der Russen, himmelblau in müden, teigigen Gesichtern; Russen, die an jeder Ecke stehen und Zeitungen und Puppen, Zigaretten, Zuckergebäck, Postkarten, Papierblumen, Hampelmänner und Schmuck verkaufen; und die langnasigen Armenier, die in den Innenhöfen baufälliger Paläste auf Matten sitzen, und die Türken aus Mazedonien, die in Stambul ruhig unter Bäumen um die Moscheen sitzen, und die griechischen Flüchtlinge und die jüdischen Flüchtlinge und die verkohlten Straßen abgebrannter Basare; und eines Nachts der einbeinige Mann, der in seine knotigen Hände schluchzt.
    Ich stand auf, benommen von Schlaf und Sonne. Möwen kreisten um das Schiff. Hier war die Luft frei von Elend und Flüchtlingen und Armeen und Polizisten und Passkontrolleuren. Die russischen Soldaten im vorderen Laderaum sahen fröhlich aus. Es war, als schaute man in eine Grube voller Bärenjungen. In ihrem beengten Quartier spielten sie und rangen miteinander, große, tolpatschige flachsblonde Männer in schmutzigen Kosakenhemden mit einem Gürtel um die Taille. Sie werfen sich mit massigen Pranken zu Boden, helfen einander auf und lachen, als seien sie unverwundbar, küssen sich und gehen dann wieder aufeinander los. Sie sind rastlos wie Kinder, die nach der Schule nicht hinausdürfen.
    In einer Ecke hocken ein paar Tataren beieinander, breitgesichtige Männer mit schwarzen Augenschlitzen im Gesicht. Ernst und bewegungslos sitzen sie da und schauen über das helle Wasser, spielen Karten oder schneiden ihr Brot, um die Scheiben in der Sonne zu trocknen.
    Der Kapitän, ein hochgewachsener Mann mit weißem Walrossbart, ist mit ernster Miene zu mir gekommen, blickt hinunter in den Laderaum und schnalzt mit der Zunge. «Sie stinken, diese Russen. Sie haben keine Offiziere. Was nützt es, sie zurückzuschicken und noch mehr Bolschewiken zu machen. I Alleati son’ pazzi ... tutti. Die Alliierten sind verrückt, alle. Gibt es nicht schon genug Bolschewiken?»

2. Angora
     
    Es war eine Überraschung, auf der Bank neben der Kajütstreppe sechs uniformierte türkische Militärärzte vorzufinden. Als wir in Konstantinopel ablegten, war nichts von ihnen zu sehen gewesen. Sie waren besorgt wegen des griechischen Kreuzers Chilkis , der Fischerboote versenkte und Küstendörfer beschoss. Sie hatten das entschlossene Gesicht von Männern, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie begegneten mir mit alberner und eiskalter Höflichkeit.
    «Ihr Europäer seid alle Heuchler. Wenn türkische Soldaten über die Stränge schlagen und ein paar
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