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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger
Autoren: Ilse Maria Dries
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Montag, 16. September
     
    Gegen drei Uhr morgens saß sie im dunklen Zimmer, das nur vom bläulich schimmernden Bildschirm des PCs erleuchtet wurde, und starrte auf die geöffnete Datei.
    Sie war angespannt und frustriert. Sie hatte sich in einen Chatroom namens „Traumpartnerforum“ eingeloggt. Rauch kräuselte in Richtung Zimmerdecke und sie trank einen Schluck Rotwein aus einem großen, bauchigen Glas. Das Fenster stand einen Spalt breit offen und draußen war es absolut still.
    Der perfekte Traumpartner würde schon zu finden sein. Man müsste nur etwas Geduld haben. Dann könnte man Kontakt aufnehmen. Diesmal würde es klappen.
     
    Der Vorarbeiter Peter Kränzlein war äußerst verärgert. Die Morgenschicht hatte soeben begonnen und eine seiner Packerinnen fehlte. Eine Großladung Äpfel war in den frühen Morgenstunden geliefert worden und musste umgepackt und verladen werden. Er brauchte jede Kraft. Zeit ist Geld, pflegte sein Chef immer zu sagen.
    Kränzlein hatte versucht, seine Arbeiterin Kati Simmerlein auf ihrem Handy zu erreichen, doch das war tot.
    Normalerweise war Kati eine zuverlässige Mitarbeiterin. Seit zwei Jahren bereits arbeitete sie bei dem Obstgroßhandel in Pretzfeld und war immer pünktlich zu der Schicht, für die sie eingeteilt war, erschienen. Nur heute nicht. Nun, sie würde mächtigen Ärger kriegen.
    Kati war eine hübsche junge Frau, auf die er schon seit längerer Zeit ein Auge geworfen hatte. Aber sie wehrte seine Annäherungsversuche beharrlich ab.
    Er rieb sich die rauen, kalten Hände. Dann setzte er sich in Bewegung. Es gab viel Arbeit zu erledigen.
     
    Miroslava Nepomuc führte ihren Hund spazieren. Sie hatte es eilig. Gleich wurde sie bei ihrer ersten Putzstelle des Tages erwartet. Heute musste sie in dem großen Bauernhaus sämtliche Fenster putzen. Sie seufzte und dachte an ihren kaputten Rücken.
    Miroslava war achtundfünfzig Jahre alt und eine stämmige, kräftige, breit gebaute Frau. Die dunklen, von grauen Strähnen durchzogenen Haare trug sie praktisch kurz geschnitten. Sie stammte aus Bosnien, lebte aber schon viele Jahre mit ihrem Mann Goran und ihren drei inzwischen erwachsenen Söhnen in der Fränkischen Schweiz. Sie waren als Kriegsflüchtlinge nach Deutschland gekommen und geblieben.
    Sie war sehr fleißig und hatte mehrere Putzstellen, natürlich Schwarzarbeit, sowie einen 400-Euro-Job als Aushilfe im Sportlerheim. Irgendwie musste man laufende Einkünfte schließlich erklären.
    Inzwischen hatte sie mit ihrer Familie ein stattliches Haus in Bosnien ausgebaut und vermietete jeden Sommer vier Ferienappartements an deutsche Urlauber. Das Geschäft lief großartig. Die Deutschen liebten das ruhige, beschauliche Leben in dem kleinen bosnischen Dorf und den dazugehörigen Familienanschluss. Sie tranken mit den Einheimischen starken Mokka aus winzigen Tassen und dazu selbst gemachten Slibowitz, der in der Kehle brannte.
    Miroslava schritt energisch aus und pfiff nach ihrem Hund Ivo. Er war ein mittelgroßer, struppiger Mischlingshund und seinem Frauchen treu ergeben. Sie hatte ihn nach dem Tatortkommissar Ivo Batic benannt, der in München ermittelte und so wunderschöne, leuchtend blaue Augen hatte. Sie verpasste niemals eine Folge mit ihm.
    Es war kalt um diese frühe Zeit am Wasser. Der schmale Schotterweg, den Miroslava jeden Morgen beschritt, führte direkt an der Wiesent entlang, die schwarzblau-dunkel an ihr vorbeirauschte. Es war noch dämmrig und dichter Nebel stieg vom Fluss in die alten, krummen Weiden. Man konnte nur ein paar Meter weit schauen. Miroslava überquerte das tosende Wasser auf einer schmalen Holzbrücke, unter der Enten in pfeilförmiger Formation einem bestimmten Ziel zuzustreben schienen.
    Linkerhand befand sich das alte, wuchtige Wasserrad, dessen hölzerne Butten nachweislich seit 1561 das Wasser für die Wiesenbewässerung in eine offene Rinne schütteten. Es stand still im Nebel. Drehte es sich sonst nicht immer? Sie lief rasch vorbei, dann stutzte sie.
    Aus den Augenwinkeln hatte sie etwas wahrgenommen, das sonst nicht da war. Sie trat vorsichtig näher. Es wirkte so, als sei ein Bündel auf das Wasserrad geraten, vielleicht herangetrieben durch die derzeit starke Strömung: Abfall, alte Kleider oder sonstiger Unrat.
    Sie wollte ihren Weg schon fortsetzen, doch etwas in ihrem Inneren zwang sie dazu, dieses merkwürdige Bündel doch genauer in Augenschein zu nehmen. Noch drei zögerliche Schritte.
    Miroslava schrak entsetzt
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