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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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sonnenhelle, dreckige Straße, wo hagere Männer mit aufgestütztem Kopf am schiefen Rinnstein sitzen und gelegentlich eine von klapperdürren Gäulen gezogene Droschke vorbeikommt und Soldaten in Hauseingängen lungern.
    Der alte Mann ist der letzte Hüter der Dinge. Diese Gegenstände, persönlichen Effekte, Habseligkeiten, Objekte, die Ziel und Lohn des Lebens waren, Inhalt allen Strebens, ersehnt und erarbeitet von allen Generationen, haben hier, hingeworfen und vernachlässigt, ihren Sinn verloren. Die Menschen, die sich hungrig auf dem schiefen Kopfsteinpflaster dahinschleppen, schauen nie in das Schaufenster der Spekulanten, bleiben nie stehen, um neidisch die Objekte zu betrachten, die ihnen vielleicht einmal gehörten. Sie haben sie wohl vergessen.
    Nur gelegentlich betritt ein Ausländer, dessen Schiff im Hafen liegt, den Laden des Alten, lässt sich dieses oder jenes zeigen, kauft Schmuck, um ihn in Europa weiterzuverkaufen, oder fährt in einem Hinterzimmer hinter verschlossener Tür über Pelze oder Teppiche, die nur nach endlosem Gefeilsche und einem kleinen Bakschisch außer Landes geschmuggelt werden können. An dem Abend, bevor wir Batum erreichten, sprach das ganze Schiff darüber, was es dort alles gäbe, spottbillig, pour un rien, per piccolo prezzo. Die Leute rieben sich die Hände und zählten ihr Geld, wie Angler vor Beginn der Forellensaison ihre Gerätschaften überprüfen.
    Wenn man durch die baumgesäumten Straßen von Batum schlendert und dabei in die Häuser schaut, sieht man meist hohe leere Räume, manchmal ein Bett oder einen Tisch, Kochutensilien, ein Moskitonetz oder einen Spitzenvorhang vor einem geöffneten Fenster. All die hübschen Dinge, all die polierten und flauschigen und mit Troddeln versehenen Gegenstände, die das Dasein schmückten, sind verschwunden. Vielleicht ist das meiste während des Krieges dahingegangen, unter den schweren Rädern so vieler Armeen von Invasoren und Besatzern, der Russen, der Deutschen, der Briten, der Türken, der georgischen Sozialdemokraten und zuletzt der Roten Armee. Nach Jahren ständiger Unsicherheit, in denen sie die geschätzten Gegenstände immer wieder ängstlich vor Plünderern und Dieben versteckten, scheint Apathie über die Leute gekommen zu sein. Sie liegen den ganzen Tag am Kieselstrand vor der Stadt, haben sich ihrer ärmlichen Sachen entledigt, braten in der Sonne, steigen ab und zu in die weiten grünen Wogen, die das Schwarze Meer heranträgt, oder sitzen plaudernd in Grüppchen unter den Palmen des eigentümlich verwahrlosten Elysiums der Hafenpromenade. Mit dem Hunger ist eine Sorglosigkeit gekommen, die wahrscheinlich angenehmer ist, als man denkt, etwas in der Art des köstlichen Schlafs, der Erfrierende überkommt.
    Und die armseligen Überbleibsel dessen, was weiterhin Zivilisation genannt wird, liegen in verstaubten Haufen in den Schaufenstern von Trödelläden. Brauchbares und Unbrauchbares, Qualitätvolles und Minderwertiges, und eines nach dem anderen verschwindet in Richtung Westen gegen Dollar und Lire und englische Pfund und türkische Pfund, gehortet in den Schränken, mit denen die Händler, Männer mit den Augen erschrockener Hunde auf dem Müll, die Wiederkehr ihres Herrn erwarten.

2. Der Ritter vom Pantherfell
     
    Am Himmel ist ein helles Stückchen Mond. Ein aufgepumpter roter Sonnenball am Horizont eines Meers, das wie eine Taubenbrust grün und hellviolett schimmert. Palmwedel und breite Platanenblätter vor einem sich verdunkelnden Zenit. Auf dem staubigen Feld vor der Kaserne stehen georgische Soldaten lässig im Kreis. Sie tragen zerschlissene graue Uniformen, manche mit runden Pelzmützen, manche mit den spitzen Filzhelmen der Roten Armee. Viele sind barfuß. Sie verströmen einen Geruch von Schweiß und Hoffnungslosigkeit und Unterernährung. Ein auf dem Boden hockender Mann fängt an, auf einer kleinen Trommel, die er zwischen den Schenkeln hält, mit den Handflächen einen schnellen Rhythmus zu schlagen. Die anderen klatschen dazu, bis ein anderer eine leise Melodie anstimmt. Nach ein paar Strophen hält er inne, und ein junger blonder Bursche mit einer sauberen weißen Pelzmütze auf dem Hinterkopf beginnt zu tanzen. Die anderen klatschen weiter und singen Tra-la-la, tra-la-la in sentimentaler Begleitung. Der Tanz ist elegant, gockelhafte Schritte und rasche Jagdgesten, in denen etwas von der formvollendeten, ein wenig übertriebenen Romantik orientalischer Ritterlichkeit anklingt. Man kann sich
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