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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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Konstantin hat sie gebaut, ein Konstantin hat sie verloren, ein Konstantin wird sie wiedererlangen ...»
    In dem dichtem Dach aus Weinblättern und ineinanderverflochtenen Stämmen hängen grüne Reben. Ein Café vor einem der Tore in der großen Theodosianischen Mauer. Die Landstraße senkt sich hinunter zu einem niedrigen Durchlass, der viel zu klein scheint für die schweren staubaufwirbelnden Fuhrwerke, die dort hindurchrattern. Rechts und links graue eckige Türme, oben abgebröckelt. In beiden Richtungen eine endlose graue Mauer, gelegentlich gesprenkelt mit dem Grün eines Feigenbaums und grauen eckigen Türmen. Im Osten ein Stückchen des aquamarinblau leuchtenden Marmara-Meers, im Westen kahle erdbraune Hügel. Im purpurnen Schatten der Weinlaube blanke Holztische und Stühle, auf jedem Tisch ein Topf mit Rosmarin oder Basilikum oder Thymian oder eine blühende Geranie. In einer Ecke diskutiert eine Gruppe alter Männer mit würdevollen Gesten und ruhigen, klangvollen Stimmen über irgendetwas. Ihre weißen Turbane bewegen sich kaum. Hin und wieder blitzt es weiß auf, wenn ein nickender Kopf einen Sonnenstrahl trifft, eine schmale und braune Hand wird an den grauen Bart gehoben. Drei junge Männer neben mir mit neuem leuchtend roten Fes erzählen Witze. Ein alter Herr mit aufgedunsenem roten Gesicht, in Gehrock mit der üblichen weißen Weste, hört zu, schaut mit blitzenden Augen über seine Nargilé, wirft hin und wieder den Kopf zurück und lacht laut. Ein gelber schlanker Mann mit grünen Hauspantoffeln neben ihm starrt mit großen gelbbraunen Augen ins Leere, in der Hand eine lange bernsteinfarbene Zigarettenspitze, die golden leuchtet, wenn die Sonne darauf fällt.
    Sans connaître les classiques on ne peut être ni diplomate, ni politicien, ni orateur ... Aber man kann im Schatten sitzen, wo die Weinblätter im kühlen Wind rascheln, man kann die Tage durch die Finger gleiten lassen, glatt und wohlgeformt wie die Bernsteinperlen der Gebetsketten, mit denen die eine oder andere Hand fortwährend spielt.
    Aus dem Tor kommt ein Stabsfahrzeug mit alliierten Offizieren, funkelnde Goldlitzen, schwirrende Stimmen. Knatternd und schnaufend müht es sich im ersten Gang die holprige Straße hinauf und verschwindet in einer Staubwolke.
    Eine blökende Schafherde taucht aus dem Staub auf, gefolgt von zwei Schäfern, die rufen und Steine werfen und mit ihren Stöcken schlagen, bis die Schafe durch das schmale Tor drängen wie Wasser durch die Öffnung in einem Trog.
    Sans connaître les classiques ... Ein Trupp interalliierter Polizisten ist erschienen, die prüfende Blicke über die Gesichter der Türken werfen. Zwei italienische Gendarmen mit glänzendem Dreispitz und Knöpfen auf den Rockschößen, stiernackige britische Militärpolizisten, französische Flics mit dem bei Pariser Karikaturisten so beliebten Schnurrbart. Alle sind rotgesichtig und verschwitzt, auf den gewienerten Stiefeln liegt Staub. Nachdem sie die Leute im Café lange genug gemustert haben, machen sie kehrt und fahren durch das Tor in Richtung Stadt. Unter den Weinranken hat sie niemand bemerkt. Die alten Männer sprechen weiter und streichen sich mit langsamer Bewegung den Bart. In den Schalen ihrer Nargilés ist gelegentlich ein leises rotes Glühen, wenn der Raucher tief einzieht. Über den grauen Türmen und der Mauer kreisen Milane mit schwarzen geschwungenen Flügeln und Hakenschnabel am porzellanblauen Himmel.

8. Alexander
     
    Unterwegs nach Therapia 8 wurde uns die Stelle gezeigt, wo zwei Tage zuvor ein französischer Lastwagen mit einer Regimentskapelle in die Schlucht gestürzt war. «Ah, monsieur, nous avons vécu des journées atroces», sagte die hochgewachsene Griechin neben mir und rollte gefährlich mit den schwarzen Augen. In der nächsten Kurve machte unser Wagen eine furchtbare Schlingerbewegung, um einem alten Mann mit Maultier auszuweichen. «Vier von ihnen waren auf der Stelle tot. Sie sollen ohnehin sternhagelvoll gewesen sein. Der Lastwagen und die Leichen wurden nicht gefunden ... le Bosphore, vous comprenez.» Sie lächelte affektiert mit ihren großen Lippen, deren Rot sich auf den sorgfältig geschminkten Amorbogen beschränkte.
    In Therapia saßen wir auf der Terrasse, vor uns der grüne bewegte Bosporus, und sahen Engländern in weißem Flanell beim Tennis zu. Ein heißer stickiger Nachmittag. Heuschrecken schwirrten wie verrückt in den staubigen Zypressen. Männer im Gehrock saßen flüsternd an kleinen
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