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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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Mullahs, der aus dem Koran las, und tauchte die Seidenbehänge der Kanzel in ein intensiv leuchtendes Magenta. Der Prediger las mit hölzerner Stakkatostimme und mit leichten rhythmischen Bewegungen, und am Ende eines jeden Verses brummte die Menge ein leises Amin.
    «Es geht um den Fall von Adrianopel, in jedem Jahr an diesem Tag», flüsterte mir der junge Mann mit der grünen Troddel an seinem Gebetskranz auf Französisch ins Ohr. «Viele dieser Männer kommen aus Adrianopel, sie sind vor den Griechen geflohen ... Sie erinnern sich.»
    Der Koranleser stieg nun schwerfällig hinunter, vorbei an dem magentafarbenen Seidenbehang, und ein größerer Mann mit vollen Lippen und dunklen, geröteten Wangen unter hohlen Augen nahm seinen Platz ein.
    «Er wird nun für die Armee in Anatolien beten.»
    In aufrechter Haltung, den Blick direkt in das Sonnenlicht gerichtet, die Hände in Barthöhe, sprach der neue Mullah ein Gebet voller harter Konsonanten und kühn aufsteigender Satzmelodien. Seine Stimme war wie Pauken und Trompeten. Und in der ganzen Moschee, unter der bläulichen Kuppel schauten die Männer über die Innenfläche ihrer erhobenen Hände auf die magentafarben leuchtende Seide und den Prediger, der in dem gelben Sonnenstrahl betete, und das gemurmelte Amin bei jeder Pause wurde lauter und lauter, wurde heftig und atemlos, bis die Glaslämpchen an den großen flachen Leuchtern über den Turbanen und Fesen klingelten, stieg in die Höhe und erschütterte die riesige Kuppel, so wie die Kuppeln der Kirchen vom Ruf der Heerscharen des Islam erschüttert wurden, als die Stadt Konstantins erobert und der letzte Konstantin in seinen purpurfarbenen Stiefeln getötet wurde.
    Am Ausgang erhielt jedermann ein Kärtchen mit einer Darstellung der großen Moschee von Adrianopel und ein Papiertütchen mit Kerzen.

6. Ouzo
     
    Die runden Blättchen des Basilikumtopfs auf dem Tisch des Cafés verströmen einen zarten Duft. Auf einem von rotem Boi eingerahmten Podium produzieren Musiker, summend und zupfend, endlos auf- und absteigende Arabesken in Moll. Es gibt eine Art Laute, eine Zither, eine Violine und eine Sängerin. In der Mitte steht ein Hocker mit Kaffeetassen und einer Flasche Ouzo. Die Zither spielt ein ergrauter Mann mit Hakennase und Brille, der manchmal den Kopf zurückwirft und mit weit geöffnetem Mund eine gregorianische Melodie jodelt, die die anderen aufgreifen und mühsam in das Klanggewebe einfädeln. An den vollbesetzten Tischen unter der Robinie, wo am Nachmittag Schatten ist, sitzen sie mit Nargilés oder Zigaretten oder deutschen Pfeifen oder amerikanischen Zigarren, trinken Anisschnaps und Bier und Kaffee und sogar Wodka. Es riecht nach Tabak und Holzkohle und Anis von dem Pastis und Ouzo und nach gegrilltem Fleisch von den Schisch-Kebab-Spießen, dazu das Durcheinander vieler verfeindeter Sprachen und die Schritte auf der Straße unterhalb der Terrasse.
    Stütze das Kinn auf die Hände und schaue hinunter auf das rissige und staubige Stückchen Gehweg zwischen den nackten Füßen der Jungen, die an der Mauer stehen und Gebäck und Pistazien und fliegenübersäte Bonbons verkaufen, und die Droschken, deren Fahrer, meist Russen in geflickten Uniformen, in den langen Nachmittagsstunden dasitzen und schlafen und plaudern und auf Kundschaft warten ... Jenseits davon Schuhe, Füße, Beine, verschränkte Arme, schwingende Arme, gebeugte Schultern, muskulöse Rücken unter dünner Baumwolle, braune, schweißbedeckte Oberkörper, Schals, schwarze Schleier, Yaschmaks 7 , Gesichter. Das ganze Leben spiegelt sich im Gesichtsausdruck. Ein Junge, die Haut von der Farbe eines Tonkrugs, Augen und Lippen eines trunkenen Bacchus, geht lässig vorbei, auf dem Kopf ein Tablett mit geröstetem gelben Mais. Ein Mädchen trippelt wie ein Mäuschen, das gesenkte Gesicht weiß wie eine Fresie hinter dünnem schwarzen Schleier. Ein weißbärtiger Mann in blauem Gewand, die Augen rotgerändert und trüb wie Mondsteine, wird von einem kleinen braunen Knaben geführt. Zwei Hammals, ein jeder stark genug, ein Klavier ganz allein zu tragen, mit ausgeprägt stumpfen Gesichtszügen und dem schwarzen Bart assyrischer Bogenschützen. Drei Russen, blond und breitbrüstig, etwa gleich groß, straffsitzende weiße Leinenbluse unter dem Gürtel, blaue Augen, alles an ihnen wirkt frischgewaschen, das Haar gescheitelt und angeklatscht, wie sonntäglich gekleidete Kinder. Ein dicklicher griechischer Geschäftsmann im Strandanzug. Engländer,
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