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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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seinen Cocktail austrinken soll oder nicht. Aserbeidschan. Aserbeidschan. Er war der aserbeidschanische Gesandte. Ein Armenier, ein Mann mit Bart, stand in der Tür und schoss auf ihn. Ein Mann mit Brille und glattem Kinn, ein bolschewistischer Spion, trat direkt vor ihn hin und schoss. Der Kellner, der die Drinks serviert, ist verzweifelt. Alle sind gegangen, ohne bezahlt zu haben.

2. Jardin de Taksim
     
    Ein Tisch unter einem gestreiften Sonnenschirm am Rand der Terrasse des Restaurants im Taksim Park (Entrée 5 Piastres, libre aux militaires). Eine russische Kapelle spielt eine Dardanella. Auf dem Hang weiter unten ein Zaun aus flachgehämmerten Standard-Oil-Tonnen um eine Lehmhütte, neben der ein Esel grast. Zwei Männer hocken friedlich am Eingangstor und schauen über ein paar protzige Villen, wie Villen in Nizza, und einen Gasometer mit frischgemalten roten Streifen hinaus auf den Bosporus und die asiatischen Höhenzüge. Es ist fast dunkel. Der Bosporus erstrahlt um die grauen Schlachtschiffe, die vor Anker liegen. Zwischen den braunen Hügeln im Vordergrund und den blauen Hügeln in der Ferne steigt eine dicke Rauchsäule auf. Man denkt an brennende Dörfer, aber das ist zu weit nördlich, und in dieser Jahreszeit werden auf dem Land die Hügel abgebrannt, um Banditen auszuräuchern. Das Orchester legt eine kurze Pause ein. Von der gelben Kaserne linker Hand kommt ein Leierkastenlied und eine tremolierende Singstimme.
    Dann erhebt sich aus Asien ein riesiger blutroter Mond.
    Und sobald Kaviar und Pilaw und Schwertfisch vom Schwarzen Meer gegessen sind, hinuntergespült mit Nectar-Bier aus der hiesigen Brauerei eines unsagbar reichen Herrn namens Bomonti, beginnt auf der Bühne inmitten der Bäume die Show. Internationales Cabaret. Zunächst eine Russin, die die schüchterne Anmut, mit der sie einen Bauerntanz darbietet und dabei ein grünes Taschentuch schwenkt, gewiss an einer renommierten Moskauer Ballettschule gelernt hat. Sodann zwei überaus zähe junge Engländerinnen in Socken und Trägerrock, vielleicht ehemalige Ballettratten der Folies Bergères. Eine von ihnen summt gelangweilt und eigentümlich abgehackt, während sie die Beine hochwerfen und all jene Schritte machen, die seinerzeit, als Königin Victoria ein junges Mädchen war, die Landpfarrer im Gaiety schockierten. Dann erscheinen die griechischen Akrobaten, eine komische Russin, die nur von ihren Landsleuten verstanden wird, eine Französin in Schwarz mit Opernarmen und Konservatoriumsmanier, die mehrmals zu lautem Applaus die Wahnsinnsarie aus Lucia singt, eine jämmerliche Frau in rosa Tüll, die den Moment Musicale mit jener albernen Gestik tanzt, die Tanzlehrerinnen in der amerikanischen Provinz empfehlen, und so weiter und so fort.
    Währenddessen schlendern die Leute unter den Robinien umher, man lacht und trinkt, man plaudert und flirtet. Drei Mädchen, Arm in Arm, schießen in einen Seitenpfad, gefolgt von drei italienischen Seeleuten, sonnengebräunten kräftigen Burschen in weißer Uniform. Eine Gruppe griechischer Offiziere ist sehr ausgelassen. Ihre Armee hat Eskischehir erobert. Die Kemalisten sind im Begriff, Izmit zu räumen. Tino ist also doch ein großer König. Ihnen gegenüber zwei ältere Türken in Gehrock und weißer Weste, die seelenruhig an ihren Wasserpfeifen ziehen. Weiter hinten sieben Matrosen an einem runden Tisch, die sich lärmend betrinken. Am Tor steht ein italienischer Gendarm, in kompletter Uniform importiert, von den Knöpfen an den Rockschößen bis hin zu dem glänzenden Dreispitz, und ein britischer Militärpolizist, an dessen Ärmel die Buchstaben A. P. C. (für Allied Police Commission) prangen.
    Warum wollen Sie Türkisch lernen?, fragt mich eine junge Griechin mit erstauntem Gesichtsausdruck. Sie müssen zu den Griechen halten, Sie sollten kein Türkisch lernen.
    Plötzlich muss ich an die gelben Tische und Stühle unter der großen Platane neben der Bayezid-Moschee drüben in Stambul denken, an die Tauben und die alten Männer mit Bärten so weiß wie ihre weißen Turbane, ernst nickend in endloser Diskussion, und daran, wie der uralte Bettler, gelb wie zerschlissener Damast, knorrig wie ein absterbender Pflaumenbaum, mich um Feuer von meiner Zigarette bat und dann lächelnd auf das Glas Wasser neben meinem Kaffeetässchen zeigte und wie er sich, nachdem ich ihm das Wasser gereicht hatte, tief herunterbeugen musste, um zu trinken, sein Rücken war ganz krumm. Und an die majestätische Geste, mit
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