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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger
Autoren: Helene Hegemann
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    Ich jedenfalls sitze letzte Woche mit Maria beim Vietnamesen, und plötzlich kommt Binky Schweiger um die Ecke und quatscht uns an und freut sich seit Jahrzehnten zum ersten Mal, mich zu sehen, wahrscheinlich weil ich aufgrund meiner neuen Beziehung jetzt irgendwie eine Stufe aufgestiegen bin in ihrem Hierarchiesystem – freudiges Hallo, und plötzlich fängt dieses einfallslose, sich selbst in keinster Weise ihres bei mir überhaupt nicht vorhandenen Status bewusste Babe an, mir zu erzählen, sie sei ja Teil von einer Clique, die regelmäßig Girls Dinner veranstaltet, »das ist so was Ähnliches wie Ladies Lunch«.
     
    Unglaublich. Ich frage also aus purer Höflichkeit, aber bereits megaabgeturnt: Und, wie gestalten sich diese Girls Dinner? Und sie zählt erst mal in einer unerträglichen Tonlage auf, wer da überhaupt zugegen ist, beispielsweise Nazan Merizadi, die Pseudofashion-Teppichhändlerin in ihrer selbstherrlichen Paschamanier, und Jutta Budelmann natürlich, Annette Krupp und Franziska Feuerstein, habe deren korrekte Nachnamen vergessen, auf Letztere mussten dann, weil sie nicht so bekannt ist wahrscheinlich, erst mal große Lobeshymnen gesungen werden, von wegen sie ist ja so süß und tough – blablabla, jedenfalls sei die ganze Scheiße im Endeffekt einfach ein Zusammentreffen verschiedener, dass ich diesen Ausdruck überhaupt noch wiederholen muss, ist grauenhaft, aber es geht an dieser Stelle leider nicht anders: Powerfrauen, die ihren Weg gehen etc., und ich sei herzlich eingeladen.
     
    Weißt du, was das Schlimme war? Dass ich nicht wusste, wie man auf so eine bekackte Ansage reagiert, also vollkommen fehleingeschätzte Geschichte, sie so erwartungsfreudig ob meiner von ihr vorausgesehenen euphorischen Zusage, und ich konnte schlechterdings nichts erwidern, weil ich wahnsinnig geschockt war. Die Crème de la Crème der Scheiße trifft sich da einmal im Monat, vermutlich in soeinem vulgären Bordell wie dem Borchardt, und stilisiert das Ganze als nettes Get-together. Und dann sind sie stolz darauf, mich auf einen Olymp draufzuhieven, freundlicherweise, wo ich aber überhaupt keinen Olymp sehe, sondern eher eine Art aus der Matsche gehobenes Loch. Mein Gott. Mein Gott, wie furchtbar.
     
    Du weißt, dass ich dir das nicht einfach so erzähle und mir aus diversen Gründen ohnehin abtrainiert habe, mich aufzuregen – Aufregung ist kacke, wo wir wieder bei der Diskussion über Stilfragen anlangen, die aus demselben Grund wie die ganze Aufregung bereits in grauer Vorzeit aus unserem Dunstkreis hätte verbannt werden sollen – dieses unangenehme Abfeiern von deren Lokalprominenz wird von mir hier gerade lediglich mit der Absicht dämonisiert, damit eine interessante Grundlage für die Geschichte zu entwickeln, um die es eigentlich geht. Nämlich um Binky Schweigers Tod, sie ist zwei Tage später bei einem Autounfall gestorben. Leider habe ich ein bisschen zu spät erzählt bekommen, dass sie vergangenes Jahr einen Heiratsantrag vom Oberidioten überhaupt, diesem bei ner entgegengesetzt seiner politischen Meinung ausgerichteten Tageszeitung angestellten Bauernaristokraten Arthur, gekriegt hatte, auf den alle Girls ständig so abfahren und der sich jetzt mal, nach drei gezeugten Kindern und langer Zeit der Uneindeutigkeit, auf jemanden festlegen zu wollen schien, nämlich Binky Schweiger – er so auf Knien vor ihr rumgerutscht mit nem Ring und wahrscheinlich auch ner Buttercremetorte, und was macht sie? Nein sagen. Big Time. Mit dem Argument, es tue ihr ja leid, aber sie stehe einfach auf dumpfe Surferboys, die gut im Bett sind, und sonst nichts.
     
    Dies sei ihr posthum als guter Move angerechnet.
     
    Nun zum Unfall. Sie hatte einen Sohn, elf Jahre alt, sein Name ist Kai. Wir haben ihn damals öfters in einer kleinen russischen Bar gegenüber vom Wasserturm gesehen, dort hat er nach der Schule immer Hausaufgaben gemacht und stundenlang Sudoku gespielt. Ein bisschen zu dick, ein bisschen zu unentspannt und ne fette Brille auf der mit unregelmäßigen Sommersprossen bedeckten Nase, unfassbar rührend, vor allem das liebevolle, von großen gegensätzlichen Ansichten geprägte Mutter-Sohn-Verhältnis. Ist ja auch immer super, im 3400-Euro-Lammlederkleid nach Hause zu kommen und sich zurück auf dieses auf Astronomie oder so stehende Kind in Adidas-Jogginghose besinnen zu müssen, auf dem Sofa, kariertes Hemd dazu, gegelter Seitenscheitel, das sich gut mit Technik auskennt. Die beiden waren
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