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Orgie im Mondschein

Orgie im Mondschein

Titel: Orgie im Mondschein
Autoren: Carter Brown
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sah,
ging durch das Publikum. Der Scheinwerfer erlosch, und der Klavierspieler
begann mit einer leisen aufreizenden Melodie. Ein Schatten schien sich aus der
fast undurchdringlichen Dunkelheit neben ihm zu lösen. Dann begann eine volle,
faszinierende, leicht heisere Stimme Mood Indigo zu singen. Das Scheinwerferlicht flammte wieder auf, um die Sängerin
mit größter Deutlichkeit erkennen zu lassen. Sie stand neben dem Klavier, einen
Ellbogen auf dessen Oberfläche gestützt, in leichter, graziöser Haltung. Ihr
mitternachtsblaues Haar war auf dem Kopf zusammengefaßt und schien in kaskadengleichen Wellen über ihre Schultern hinabzustürzen. Ihre
Augen waren groß und von leuchtendem Grün, und ihre rundlichen Wangen täuschten
eine Unschuld vor, die durch den breiten, sinnlichen Mund Lügen gestraft wurde.
Sie trug ein langärmliges schwarzes Kleid, das sittsam gewirkt hätte, wäre
nicht der tiefe V-förmige Ausschnitt gewesen, der zehn Zentimeter tiefer die
Einbuchtung zwischen den herausfordernden vollen Brüsten freigab. Sie stand
einfach da und sang, und das Publikum hörte ihr Lied auf Lied zu, während die
von ihrem Singen ausgehende Melancholie sich zu etwas, das bereits an
Verzweiflung grenzte, vertiefte.
    Einige ihrer Songs kannte ich,
andere nicht. Trauriger Sonntag — das Lied, bei dem die Ungarn
Selbstmord zu begehen pflegen — war mir vage vertraut. Zwei alte englische
Volkslieder, Long Lankin und The Young Girl
Cut Down In Her Prime hatte ich nie zuvor gehört. Es spielte keine Rolle.
Der Zauber ihrer Stimme lullte mich ein, versetzte mich in eine Welt des
Zwielichts, die ich, solange sie sang, nicht zu verlassen wünschte. Dann, nur
zu schnell, war alles vorbei. Sie beugte vor dem donnernden Applaus den Kopf,
und das Scheinwerferlicht ging aus. Als das Händeklatschen schließlich
verstummt war, fing die Dreimannband wieder an, und niemand hörte zu.
    Ich kritzelte ein paar Worte
hinten auf meine Geschäftskarte, trank mein Glas leer und winkte der üppigen
Kellnerin. Sobald sie die Karte sah, stemmte sie die Hände in die Hüften und
grinste verächtlich.
    »Verschwenden Sie nicht meine
Zeit, Mister! Diese Marchant empfängt niemanden.«
    »Die Karte ist für Lincoln Page«,
sagte ich. »Zwei Dollar, wenn Sie sie ihm bringen, zehn, wenn Sie Ihren Charme
darauf verwenden, ihn zu überreden, sich mit mir zu unterhalten. Wie wär’s
damit?«
    »Page? Sie meinen ihren Manager
oder was der Kerl ist?«
    »Stimmt!«
    »Na ja...« Sie zuckte die
Schultern. »Verlieren kann ich dabei ja nichts. Oder?«
    »Ganz recht.«
    Sie nahm die Karte und mein
leeres Glas und verschwand. Ich rauchte eine Zigarette — eine andere Kellnerin
brachte mir einen frischen Drink — und wartete. Etwa zehn Minuten später kam
die Dicke zurück.
    »Sie schulden mir zehn Dollar,
Mister«, sagte sie triumphierend. »Er möchte Sie sofort sprechen.«
    »Danke.« Ich nahm einen
Zehndollarschein aus meiner Brieftasche und gab ihn ihr. »Wo finde ich ihn?«
    »Gehen Sie durch diese Tür«,
sie wies mit dem Kopf darauf, »hinter der Band vorbei. Die zweite Tür links ist
dann die zur Garderobe der Marchant . Dort werden Sie
Page treffen, aber warum sich jemand mit einem solchen Mistvieh unterhalten möchte, ist mir schleierhaft.«
    Ich bezahlte für meine beiden
Bourbons, trank das zweite Glas leer und verließ den Tisch. Auf die zweite Tür
links war ein kleiner Stern gemalt, was in einem Bumslokal wie dem Angebundenen
Ziegenbock, irgendwie anspruchsvoll wirkte, fand ich; aber schließlich hat
jeder seine eigene Form von Größenwahn. Ich klopfte höflich, und eine leicht
heisere Stimme forderte mich auf, einzutreten, was ich auch tat. Der Raum war
klein, entsprach aber den Erfordernissen; Julie Marchant saß vor einem Toilettetisch und kämmte ihr langes
dunkles Haar. Neben ihr stand ein großer, muskulös wirkender Bursche, der Page
sein mußte. Er war um die Vierzig herum, hatte langes, mit einer Spur von Grau
vermischtes Haar, eine spitze Nase und zusammengepreßte dünne Lippen. Seine verschleierten Augen waren von einem blassen, fast
farblosen Blau, was ein wenig entnervend war, wenn er einen direkt ansah, denn
man bekam flüchtig den Eindruck, als sei er blind.
    »Mr. Page?« sagte ich äußerst
höflich.
    »Stimmt.« Seine Stimme war
scharf und arrogant; es war die Sorte Stimme, die einen maître de plaisir ohne ersichtlichen Grund
zusammenfahren läßt.
    »Ich bin Rick Holman .«
    »Ja?«
    »Paul Reneks persönlicher
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