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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch
Autoren: Andreas Gößling
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musst einen Auftrag
für mich erledigen.« Den klobigen Schlüssel in der Hand, trat Valentin Kronus ins Hinterzimmer zu Amos und schloss die Tür. »Ich würde dich nicht darum bitten«, fuhr er fort, »wenn es nicht so ungemein wichtig wäre. Für mein Werk,
Das Buch der Geister
– du verstehst schon. Und wenn ich dir nicht vertrauen würde wie meinem eigenen Sohn.«
    »Alles, was Ihr befehlt, Herr.« Amos’ Augen wurden vor Aufregung weit. Sein Herz begann noch schneller zu schlagen, falls das überhaupt möglich war. Gewöhnlich führte er für den alten Mann kleine häusliche Arbeiten aus – er hielt den Gemüsegarten in Ordnung, mistete den Pferdestall aus oder bereitete eine Mahlzeit aus Brot und Käse, Wein und Braten zu, die er in der Rückentrage von der Burg herübergeschleppt hatte. Heute aber erwartete Kronus etwas ganz anderes von ihm, das spürte er genau.
    Das Buch der Geister
war Kronus’ Lebenswerk. Seit etlichen Jahrzehnten arbeitete er daran, doch was genau es mit diesem Werk auf sich hatte, war Amos bis heute nicht recht klar geworden. Schon vor zwei Jahren, als er das erste Mal hierhergekommen war, hatte er dem Alten schwören müssen, dass er alles für sich behalten würde, was er in Kronus’ Haus sah oder hörte. Mächtige Feinde versuchten zu verhindern, dass Kronus das Buch fertigstellen konnte. Wenn sie ihm auf die Schliche kämen, würde er unweigerlich auf dem Scheiterhaufen oder am Galgen enden.
    »Das Buch«, so hatte Kronus ihm erklärt, »wird eine Arche Noah der kostbarsten Geistesschätze der Menschheit sein. Und jene, die mich suchen, würden diese Schätze am liebsten für immer in ihren Verliesen verschließen. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie wohl alle Gedanken und Geschichten schlichtweg verbieten, soweit sie nicht in der Bibel verzeichnet und vom Vatikan in Rom ausdrücklich genehmigt worden sind. Ja, ich fürchte, wenn es in ihrer Macht stünde, würden sie sogar die menschliche Einbildungskraft ganz einfach abschaffen, damit niemand mehrsich irgendetwas ausdenken oder von etwas träumen kann, das ihnen nicht passt. Und deshalb, mein lieber Amos«, so hatte Kronus mit seinem stillen Lächeln hinzugefügt, »ist mein
Buch der Geister
in ihren Augen so überaus gefährlich. Ich nämlich will meine Leser im Gegenteil lehren, ihre Einbildungskraft so zu gebrauchen, dass sie in ihrem Innern einen überaus kostbaren Schatz entdecken. Einen Schatz, der sie reich und mächtig macht und sie die Mysterien von Himmel und Erde viel tiefer verstehen lässt, als es die Formeln der Wissenschaftler oder die Gleichnisse der Priester jemals könnten – einen Schatz, der ihnen magische Kräfte verleihen kann.«
    Auch das kleine Hinterzimmer der ehemaligen Mühle erinnerte an das Innere einer urtümlichen Arche. Schränke aus schwarz verwittertem Holz bedeckten die Wände. Der Boden der Kammer bestand gleichfalls aus altersschwarzen Brettern. Die Luft hier drinnen roch dumpfig feucht, mit einer leisen Beimischung von Moder. Vor dem kleinen Fenster in der Rückwand toste der Gründleinsbach vorbei und verstärkte noch die Illusion, dass man sich im Bauch einer über die Meere treibenden Arche befand.
    Kronus trat zu einem der wuchtigen Schränke und schob den Schlüssel ins Schloss. Schon mehr als einmal hatte Amos zugesehen, wenn der Einsiedler eine der schweren Türen geöffnet hatte, um im Innern des Möbels ein Schriftstück zu suchen. Der Schrank war bis in den allerletzten Winkel mit uralten Büchern und Handschriften vollgestopft, deren bloßer Besitz laut Kronus lebensgefährlich war.
    Das Buch der Beschwörung beispielsweise, vor dreitausend Jahren in aramäischer Sprache verfasst. Gebunden in rissiges, grünlich schimmerndes Leder, dessen schuppige Oberfläche eher an Echsen als an warmblütige Tiere erinnerte. Einmal hatte Kronus das dickleibige Werk vor Amos’ Augen aus dem Schrank hervorgewuchtet und für ihn aufgeschlagen. Amos hatte nur ein Gewimmel unverständlicher Schriftzeichen und gleichfalls unbegreiflicherBildsymbole erblickt, halb betäubt von dem Schimmelgeruch, der aus dem Buch wie aus dem Innern einer lange Zeit fest verschlossenen Höhle aufstieg.
    Oder die Schrift der Schatten , schmal, fast gewichtlos, aschgrau gebunden: das rätselhafte Werk eines griechischen Weisen, der angeblich die Kunst beherrscht hatte, die Welt um sich herum in genau die Geschichte zu verwandeln, die er gerade schrieb.
    Bei wieder anderer Gelegenheit hatte Kronus ihm den Gesang
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