Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
eigentlich nur HauptmannHöttsche und seine Männer infrage – schon mehr als einmal hatten sie mit käuflichen Landsknechten gemeinsame Sache gemacht und unglückliche Reisende in einen Hinterhalt gelockt. Amos jedoch war unter dem doppelten Schutz von Ritter Heribert und den markgräflichen Soldaten unterwegs – da konnte ihm selbst und Kronus’ Brief eigentlich nichts Arges passieren. Gefährlicher würde es wohl erst in Nürnberg werden: Dort sollten Bardo und Marek mit den Pferden in einer Herberge an der Stadtmauer auf ihn warten. Amos aber müsste sich zu Fuß bis zur Druckerei unter der Fürstenburg durchschlagen.
    Mittag war kaum erst vorbei und Wunsiedel lag schon weit hinter ihnen. Auf einem Hügel nahe der Stadtmauer hatten sie im Schatten einer Eiche ihre Vesper verzehrt, dann die Wechselpferde gesattelt, um nach kaum halbstündiger Rast weiterzureiten. Früher war Amos ab und an mit den Eltern nach Wunsiedel gekommen, um auf dem Markt einzukaufen und in der Apostelkirche eine Kerze anzuzünden – ihr Gutshof lag unweit der Stadt in einem vor Wind und Wetter geschützten Tal. Wunsiedel war die größte Stadt im Fichtelgebirge, und mit ihren gewaltigen Wehrmauern, den vielerlei Kirchen, Klöstern und Marktplätzen war sie Amos immer unermesslich groß erschienen. Doch nach Kronus’ Worten war sogar das stolze Wunsiedel neben der Freien Reichsstadt bloß ein Bauerndorf. Fünfundzwanzigtausend Menschen lebten in Nürnberg, das zu den mächtigsten Metropolen im ganzen Abendland gehörte. Größer waren höchstens noch Köln am Rhein oder das sagenhafte Venedig.
    Der Abend dämmerte schon, als sie den Marktflecken Pegnitz erreichten. Fast sechzig Meilen waren sie seit den Morgenstunden geritten, und statt jubelndem Übermut spürte Amos nur noch Müdigkeit und in den Beinen beißenden Schmerz. Auch Bardo und Marek schienen von der Reise ermattet – jedenfalls machten sie keine Anstalten, die Menschenmenge zu zerstreuen, die sich einige Hundert Meter vor dem Stadttor von Pegnitz auf einmal um sie herum zusammendrängte.
    Es waren Dutzende Menschen, allesamt von ärmlichem, abgerissenem Aussehen. Manche waren in graue Umhänge gehüllt, andere trugen nur ein paar Lumpen. Wie auf ein geheimes Zeichen hin waren sie beiderseits des Weges aus dem Wald hervorgestürmt und eilten zeternd, die Arme ausgebreitet oder die Hände bettelnd vorgestreckt, auf Amos und seine Begleiter zu. Ein hochgewachsener Mann, dessen hagerer Leib nur mit einigen Tuchfetzen bedeckt war, schien ihr Anführer zu sein. Mit finsterer Miene sah er zu den Reitern hinauf und deutete dann mit seinem Wanderstock auf Amos. »Tut Buße!«, rief er. »Das Ende der Welt ist nah!«
    Heulend und winselnd wie die armen Seelen in der Hölle drängte sich das ganze Bettelvolk daraufhin noch enger um Amos und dessen Pferde. Der Braune begann zu scheuen und zu tänzeln. »Oh Erlöser, wir sind bereit!«, kreischten die Leute. »Nimm uns elende Sünder auf in dein himmlisches Reich!«
    Vergeblich versuchte Amos, seine Pferde zu beruhigen. Er beugte sich vor, summte dem Rappen ins Ohr, tätschelte den schweißnassen Hals des Braunen. »Bardo, Marek«, rief er, »holt mich hier raus!«
    Doch als ihm die beiden Landsknechte endlich zu Hilfe kamen, wurde alles nur noch ärger: Bardo blies in sein Horn, und die Menge antwortete mit verdoppeltem Winseln und Geheule. Marek riss die Arkebuse von seiner Schulter und gab einen donnernden Schuss in den Abendhimmel ab. Da bäumte sich der Braune mit angstvollem Wiehern auf, und wie verzweifelt sich Amos auch an Hals und Rumpf des Tieres festzuklammern versuchte – im nächsten Moment wurde er abgeworfen und fiel inmitten der schreienden, stampfenden Menge zu Boden.
    So hart prallte er mit der Schulter auf, dass der Schmerz ihn für Augenblicke benommen machte. Als seine Sinne wieder klar wurden, bemerkte er die schlammbespritzte schmale Hand, die sich unter sein Wams schlängelte. »Heda!«, schrie er. »Finger weg!«
    Ein Junge, vielleicht ein Jahr jünger als er, kauerte neben ihm am Boden. Seine blonden Haare waren wirr und verfilzt, Gesicht und Hemd mit Schlamm verklebt, als ob er sich in einer Pfütze gewälzt hätte. Seine Hand, die er unter Amos’ Wams hervorzog, umklammerte den Umschlag von Kronus.
    Amos schrie auf. Blindlings packte er zu und bekam ein Handgelenk zu fassen. Aber der Junge sprang auf und riss sich von ihm los. Der Briefumschlag fiel, zerknickt, doch sonst unversehrt, neben Amos zu Boden.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher