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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen
Autoren: Oliver Sacks
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der Sonne herrschen gewaltige Temperaturen-Temperaturen in der Größenordnung von 20 Millionen Grad. Ich fand es schwierig, mir das vorzustellen; ein Ofen von solcher Temperatur würde (wie George Gamow in Geburt und Tod der Sonne schrieb) auf Hunderte von Kilometern alles um sich herum zerstören.
    Bei Temperaturen und Drücken wie diesen würden Atomkerne - nackt, von ihren Elektronen befreit - mit ungeheurer Geschwindigkeit umherjagen (die durchschnittliche Energie ihrer Wärmebewegung entspräche der von Alphateilchen); sie würden ungebremst zusammenstoßen und dabei zu Kernen schwererer Elemente verschmelzen. Gamow schrieb:
    Wir müssen uns das Innere der Sonne als eine Art gigantisches alchemistisches Labor der Natur vorstellen, wo sich die Umwandlung verschiedener Elemente in andere so mühelos vollzieht wie gewöhnliche chemische Reaktionen in unseren irdischen Labors.
    Die Umwandlung von Wasserstoff in Helium erzeugte gewaltige Mengen von Wärme und Licht, denn die Masse des Heliumatoms war etwas geringer als die von vier Wasserstoffatomen und dieser kleine Massenunterschied wurde gemäß der berühmten Einstein'schen Formel E = mc 2 vollständig in Energie umgewandelt.
    Um die Energie in der Sonne zu erzeugen, mussten, so Gamow, jede Sekunde Hunderte von Millionen Tonnen Wasserstoff in Helium umgewandelt werden; die Sonne jedoch besteht überwiegend aus Wasserstoff, und angesichts ihrer gewaltigen Masse sei erst ein winziger Bruchteil dieser Masse zu Lebzeiten der Erde verbraucht worden. Würde sich die Fusionsgeschwindigkeit verringern, würde sich die Sonne zusammenziehen und erwärmen, sodass die Fusionsgeschwindigkeit wieder auf den alten Stand gebracht würde. Würde hingegen die Fusionsgeschwindigkeit zu groß werden, würde die Sonne expandieren und sich abkühlen, wodurch sich die Fusionsgeschwindigkeit wieder verringerte. So sei sie, wie Gamow meinte, «die sinnreichste und möglicherweise die einzig mögliche Form einer ‹Nuklearmaschine›», ein sich selbst steuernder Reaktor, in dem die Sprengkraft der Kernfusion ideal durch die Gravitationskraft geregelt wurde. Die Fusion des Wasserstoffs zu Helium lieferte nicht nur eine riesige Energiemenge, sondern schenkte der Welt auch ein neues Element. Und Heliumatome konnten, wenn genügend Wärme vorhanden war, zu schwereren Elementen verschmolzen werden, die ihrerseits zum Ausgangspunkt von noch schwereren Elementen wurden.
    Durch eine faszinierende Konvergenz wurden also zwei uralte Probleme gleichzeitig gelöst: das Leuchten der Sterne und die Entstehung der Elemente. Bohr hatte an einen «Aufbau» der Elemente gedacht, eine stufenweise Entstehung aller Elemente, ausgehend vom Wasserstoff, es handelte sich um ein rein theoretisches Modell, doch vollzog sich genau dieser Aufbau in den Sternen. Wasserstoff, Element Nummer l, war nicht nur der Brennstoff des Universums, sondern auch Baustein, das Uratom, wie Prout bereits 1815 behauptet hatte. Das war eine sehr elegante, sehr befriedigende Erklärung, denn sie benötigte als Ausgangspunkt nur das erste, das einfachste Atom. [73]
    Bohrs Atom schien mir von unsagbarer, transzendenter Schönheit zu sein - Elektronen, die kreisten, billionenmal pro Sekunde, ewig auf vorherbestimmten Bahnen, das wahre Perpetuum mobile, möglich gemacht durch die Unteilbarkeit des Quants und durch die Tatsache, dass das kreisende Elektron keine Energie verbrauchte, keine Arbeit leistete. Die komplexeren Atome waren noch schöner, denn sie hatten Dutzende von Elektronen, die alle ihren eigenen Bahnen folgten, aber wie winzige Zwiebeln in Schalen und Unterschalen organisiert waren. Nicht nur schön erschienen sie mir, diese hauchfeinen, doch unzerstörbaren Gebilde, sondern auf ihre Weise auch vollkommen, so vollkommen wie Gleichungen (durch die sie sich in der Tat ausdrücken ließen) mit ihrer Ausgewogenheit von Zahlen und Kräften, Abschirmungen und Energien. Und nichts, kein gewöhnlicher Effekt, konnte ihre Vollkommenheit stören. Bohrs Atome waren augenscheinlich nicht mehr weit entfernt von der besten aller Welten, die Leibniz einst beschworen hatte.
    «Gott denkt in Zahlen», pflegte Tante Len zu sagen. «Zahlen bestimmen den Aufbau der Welt.» Diesen Gedanken hatte ich nie vergessen, und jetzt schien er tatsächlich die gesamte physikalische Welt zu umfassen. Inzwischen betrieb ich auch ein wenig philosophische Lektüre, und Leibniz sagte mir, soweit ich ihn verstand, besonders zu. Er sprach von einer
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