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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen
Autoren: Oliver Sacks
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bedeutungslos gewesen wie die Zeichnung auf Schmetterlingsflügeln, meinte Bohr, doch nun könne man erkennen, dass sie die Energiezustände innerhalb des Atoms wiedergäben, die Quantenbahnen, auf denen die Elektronen summten und sängen. «Was wir heutzutage aus der Sprache der Spektren heraushören», schrieb der bedeutende Spektroskopiker Arnold Sommerfeld, «ist eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms».
    Ließ sich die Quantentheorie auch auf komplexere Mehrelektronenatome erweitern? Konnte sie deren chemische Eigenschaften, das Periodensystem erklären? Für Bohr wurden dies die zentralen Fragen, als die wissenschaftliche Forschung nach dem Ersten Weltkrieg wieder zu neuem Leben erwachte. [70]
    Wenn die Ordnungszahl anstieg, die Kernladung oder Anzahl der Protonen im Kern wuchs, musste eine gleiche Zahl von Elektronen hinzukommen, um die Neutralität des Atoms zu bewahren. Doch diese Vermehrung der Elektronen müsse, so meinte Bohr, hierarchisch und geordnet erfolgen. Während er sich bisher mit den potenziellen Bahnen des einen Wässerstoffelektrons beschäftigt hatte, übertrug er sein Konzept jetzt auf eine Hierarchie von Bahnen oder Schalen, die für alle Elemente galt. Diese Schalen, so glaubte er, hätten bestimmte und diskrete Energieniveaus, sodass die Elektronen, wenn sie einzeln hinzugefügt würden, zunächst die energieärmste Bahn besetzten, und wenn diese voll wäre, die nächsthöhere und wieder die nächste und so fort. Bohrs Elektronenschalen entsprachen Mendelejews Perioden, das heißt, die erste, am weitesten innen gelegene Schale bot Platz für zwei und nur zwei Elektronen. Sobald diese Schale mit ihren zwei Elektronen vollständig war, begann eine zweite Schale, die, wie Mendelejews zweite Periode, acht Elektronen und keines mehr aufnehmen konnte. Gleiches galt für die dritte Schale oder Periode. Durch einen solchen Aufbau ließen sich, so Bohr, die Elemente systematisch konstruieren und würden sie von ganz alleine an die richtige Stelle im Periodensystem rücken.
    Die Position jedes Elements im Periodensystem repräsentierte also die Anzahl der Elektronen in seinen Atomen, und die Reaktions- und Bindungsfähigkeit ließ sich nun anhand der Elektronenanordnung verstehen, das hieß anhand der Besetzung der äußersten Elektronenschale, der so genannten Valenzelektronen. Die Edelgase hatten die äußeren Valenzschalen mit acht Elektronen vollständig besetzt, was sie praktisch reaktionsunfähig machte. Die Alkalimetalle in Gruppe I hatten nur ein Elektron in ihrer äußersten Schale und waren überaus bestrebt, sich seiner zu entledigen und die Stabilität der Edelgaskonfiguration herzustellen. Die Halogene in Gruppe VII, die sieben Elektronen in ihrer Valenzschale besaßen, waren demgegenüber bestrebt, sich ein zusätzliches Elektron zu verschaffen und damit ebenfalls die Edelgaskonfiguration zu erreichen. Beim Kontakt zwischen Natrium und Chlor kam es nach dieser Theorie also zu einer sofortigen (tatsächlich explosionsartigen) Vereinigung, weil jedes Natriumatom sein zusätzliches Elektron abgab und jedes Chloratom dies fröhlich aufnahm, wodurch beide ionisiert wurden.
    Die Einordnung der Übergangselemente und seltenen Erden in das Periodensystem hatte immer besondere Probleme aufgeworfen. Jetzt schlug Bohr eine elegante und einfallsreiche Lösung vor: Danach enthielten die Übergangselemente alle eine zusätzliche Schale mit zehn Elektronen, die seltenen Erden eine zusätzliche Schale mit vierzehn Elektronen. Diese inneren Schalen, im Fall der seltenen Erden tief verborgen, wirkten sich nicht annähernd so stark auf den chemischen Charakter aus wie die äußeren Schalen, daher die relative Ähnlichkeit aller Übergangselemente und die außerordentliche Ähnlichkeit aller seltenen Erden.
    Bohrs elektronisches Periodensystem, das von der Atomstruktur ausging, entsprach im Wesentlichen Mendelejews empirischem, das sich auf die chemische Reaktivität gründete (und war fast identisch mit den Blocktabellen aus präelektronischer Zeit, etwa Thomsons Pyramidentabelle und Werners überlanger Tabelle aus dem Jahr 1905). Ob man nun das Periodensystem aus den chemischen Eigenschaften der Elemente ableitete oder aus den Elektronenschalen ihrer Atome, man kam zu genau dem gleichen Ergebnis. [71] Moseley und Bohr hatten eindeutig gezeigt, dass das Periodensystem auf fundamentalen numerischen Reihen basierte, welche die Zahl der Elemente in jeder Periode bestimmten: zwei in der ersten Periode, je
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