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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen
Autoren: Oliver Sacks
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acht in der zweiten und dritten, je achtzehn in der vierten und fünften, zweiunddreißig in der sechsten und vielleicht auch in der siebten. Ich sagte mir diese Reihen - 2, 8, 8, 18, 18, 32 - wieder und wieder auf.
    Ich begann jetzt erneut, das Science Museum aufzusuchen, und verbrachte wieder Stunden vor der riesigen Tafel des Periodensystems, wobei ich mich dieses Mal auf die rot in jedes Kästchen eingetragenen Ordnungszahlen konzentrierte. Beispielsweise betrachtete ich das Vanadium - in dem Kästchen lag ein glänzender Klumpen - und vergegenwärtigte es mir als Element 23. 23 setzt sich zusammen aus 5+18: fünf Elektronen in einer äußeren Schale um einen «Argonkomplex» von achtzehn. Fünf Elektronen - also eine Maximalvalenz von fünf; doch drei von ihnen bildeten eine unvollständige innere Schale, und diese unvollständige Schale, das hatte ich erfahren, war verantwortlich für die charakteristischen Farben und magnetischen Suszeptibilitäten des Vanadiums. Das Verständnis dieser quantitativen Verhältnisse ersetzte nicht den Sinn für das konkrete Erscheinungsbild des Vanadiums, sondern verstärkte ihn, weil sich mir nun unter dem Gesichtspunkt der Atomstruktur offenbarte, wie Vanadium zu seinen ganz besonderen Eigenschaften kam. Das Qualitative wurde in meiner Vorstellung mit dem Quantitativen verschmolzen. Jetzt konnte ich aus beiden Blickrichtungen einen Begriff von der «Vanadiumhaftigkeit» gewinnen.
    Gemeinsam hatten Bohr und Moseley die Arithmetik in meinen Augen rehabilitiert, indem sie die wesentliche, klare Arithmetik des Periodensystems herausgearbeitet hatten, wie sie bereits von den Atomgewichten, allerdings etwas verschwommen, angedeutet wurde. Charakter und Identität der Elemente ließ sich jetzt, jedenfalls größtenteils, aus ihren Atomzahlen ableiten, die nicht mehr nur die Kernladung angaben, sondern für die besondere Architektur jedes Atoms standen. Das alles war von göttlicher Schönheit, Logik, Einfachheit und Ökonomie - Gottes Abakus am Werk.
    Was machte Metalle metallisch? Die Elektronenstruktur erklärte, warum der metallische Zustand so fundamental erschien, in seinem Charakter so anders als jeder andere. Einige der mechanischen Eigenschaften der Metalle, ihre hohen Dichten und Schmelzpunkte, ließen sich nun dadurch erklären, dass die Elektronen besonders eng an den Kern gebunden waren. Die hohe «Bindungsenergie» eines Atoms schien mit ungewöhnlicher Härte und Dichte und einem hohen Schmelzpunkt einherzugehen. Es stellte sich heraus, dass meine Lieblingsmetalle - Tantal, Wolfram, Rhenium, Osmium: die Glühfadenmetalle - die höchste Bindungsenergie aller dieser Elemente aufwiesen. (Es gab also, so vernahm ich zu meiner Freude, eine atomare Rechtfertigung für ihre außergewöhnlichen Qualitäten - und für meine eigene Vorliebe.) Die Leitfähigkeit der Metalle wurde einem «Gas» von freien und beweglichen Elektronen zugeschrieben, die sich leicht von ihren Mutteratomen lösten - das erklärte, warum ein elektrisches Feld einen Strom von beweglichen Elektronen durch einen Draht ziehen konnte. Solch ein Meer von freien Elektronen auf der Oberfläche eines Metalls erklärte auch ihren speziellen Glanz, denn unter dem Einfluss von Licht begannen sie lebhaft zu schwingen, wodurch sie alles Licht streuten oder zurückwarfen.
    Aus der Elektronengastheorie folgte weiter, dass unter extremen Temperaturen und Drücken alle nichtmetallischen Elemente, die gesamte Materie, in einen metallischen Zustand gebracht werden konnten. Dies war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bereits beim Phosphor gelungen, und in den dreißiger Jahren sagte man voraus, dass es bei Drücken von mehr als einer Million Atmosphären auch beim Wasserstoff der Fall sein würde - metallischen Wasserstoff vermutete man beispielsweise im Kern von Gasriesen wie dem Jupiter. Die Idee, dass sich alles «metallisieren» ließe, fand ich zutiefst befriedigend. [72]
    Lange hatten mir die besonderen Kräfte des blauen oder violetten kurzwelligen Lichts Kopfzerbrechen bereitet, weil es so ganz anders war als das rote oder langwellige Licht. Deutlich zeigte sich dies in der Dunkelkammer: Bei einem ziemlich hellen Rotlicht konnte man einen Film entwickeln, ohne dass er geschwärzt wurde, während die kleinste Spur von weißem Licht, Tageslicht (das natürlich Blau enthielt), sofort Schaden anrichtete. Offenkundig wurde das auch im Labor, wo man beispielsweise bei Rotlicht gefahrlos Chlor mit Wasserstoff
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