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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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endete, und versuchte es dann mit einem anderen. Einmal stolperte ich über ein rundes Rohr, das aus dem Boden ragte. Ein Zittern überlief mich. War dies einer der gefürchteten Brunnenschächte? Nein, ich stellte fest, dass es sich um einen Schornstein handelte. Der grasbedeckte Weg führte geradewegs über die Höhlenhäuser unter mir hinweg.
    Schon seit geraumer Zeit waren wir keiner Menschenseele mehr begegnet, und bald gab ich es auf, nach Klara zu rufen. Mein Hals fühlte sich wund an, und ich hatte Mühe, überhaupt noch einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Als Rüdiger schlagartig stehen blieb und bellte, verlor ich das Gleichgewicht und wankte auf den Abgrund zu.

30. Wir sind Helden
    Hilflos eierte ich zwischen Himmel und Erde hin und her. Ich erwartete, mein Leben im Zeitraffer vor mir abspielen zu sehen, aber da kam nichts. Nur Opa Hermann schwebte plötzlich riesig und durchsichtig über dem Abgrund. Mit einer Hand zeigte er auf seine Füße. Stell dich nicht so an, sollte das wohl heißen. Denk an die drei Zehen, die ich mir damals im Russlandfeldzug abgefroren habe.
    Hm. Vielleicht bedeutete es ja auch noch was anderes. Zum Beispiel: Reiß dich zusammen und setz einen Fuß zurück.
    Ich probierte es.
    Super. Ich war in Sicherheit.
    »Danke, Opa!«, schrie ich hysterisch.
    Der war schon wieder weg. So ein Geist hatte wahrscheinlich an allen Ecken und Enden zu tun, um seinen Hinterbliebenen den Marsch zu blasen.
    Rüdiger bellte immer noch, aber es klang gedämpfter. Ich folgte dem Geräusch und betrat die Höhlenwohnung direkt vor mir. Ein großes Schild warnte am Eingang vor dem Betreten. »Einsturzgefahr« stand dort in vier Sprachen.
    Tja, hatte ich eine Wahl?
    Nein. Also los, Nele. Sei keine Memme!
    Ich musste den ersten großen Raum durchqueren, bevor ich einen Zipfel von Rüdigers Rute ausmachte. Die Wände sahen alles andere als sicher aus, hier und da waren große Tuffsteinbrocken herausgebrochen.
    Rüdiger winselte jetzt.
    Und dann hörte ich noch etwas anderes.
    Ein Weinen.
    Ich achtete nicht mehr auf meine Sicherheit, sondern sprintete los. Hier hinten war kaum noch etwas zu sehen, und ich orientierte mich an den weißen Flecken in Rüdigers Fell. Schon stand ich neben ihm und blickte auf den Steinhaufen am Boden.
    Und da lag Klara!
    Einen Moment lang befürchtete ich, sie sei tot. Die Augen waren geschlossen, ein Bein verschwand unter dem Steinhaufen. Dann sagte mir mein Verstand, dass Tote nicht weinen, und ich sprach sie vorsichtig an.
    »Geht es dir gut, Klara?«
    Sie öffnete die Augen und starrte mich an. Entweder fand sie die Frage zu Recht bescheuert, oder sie fragte sich, warum von allen möglichen Menschen ausgerechnet ich zu ihrer Rettung eilen musste.
    »Mein Fuß ist eingeklemmt«, erklärte sie und kämpfte gegen neuerliche Tränen an.
    »Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.« Klang genauso bescheuert, aber in Katastrophenfilmen wird so was auch immer gesagt.
    Tatsächlich beruhigte sich Klara ein wenig. Das konnte jedoch auch Rüdiger zu verdanken sein, der mit seiner meterlangen Zunge über ihr Gesicht fuhr.
    Ich begann, einen Stein nach dem anderen abzutragen. Weit kam ich nicht. Da lag ein mächtiger Brocken und klemmte Klaras rechten Fuß an der Wand ein.
    »Ich wollte mich hier drinnen nur ein bisschen umsehen«, erklärte sie wenig überzeugend. »Außerdem war mir draußen so heiß.«
    Okay, das konnte ich glauben. Vor ein paar Stunden musste das hier ein Backofen gewesen sein.
    »Ich dachte, ich ruhe mich ein wenig im Schatten aus, und dann … dann wollte ich zurückgehen.«
    Aufmerksam musterte ich ihr Mienenspiel. Doch, sie wirkte ehrlich. Vermutlich hatte sie wirklich genug von ihrem Abenteuer gehabt.
    »Als ich mich hier an die Wand gelehnt habe, ist sie plötzlich auseinandergebrochen. Ich habe noch versucht wegzuspringen, aber ich war nicht schnell genug.«
    »Du kannst nichts dafür.«
    »Es tut mir alles so leid«, flüsterte sie. »Ich wollte Papa nur einen Schrecken einjagen, als ich weggelaufen bin.«
    Papa. Es klang merkwürdig. Ich würde mich wohl daran gewöhnen müssen, dass Paul jetzt auch ein Papa war.
    Rüdiger winselte und erinnerte uns daran, dass wir im Augenblick wichtigere Probleme hatten.
    Rasch zog ich mein Blackberry aus der Hosentasche.
    Klara schüttelte den Kopf. »Kein Netz. Sonst hätte ich doch längst angerufen.«
    Mist. Also musste ich selbst sehen, wie ich sie hier herausbekam. Klara liegen lassen, um Hilfe zu holen, kam nicht
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