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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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Jetzt zurück. »Sag mal, Deern, hast du ein Gespenst gesehen?«
    Könnte sein.
    »Nein, wieso denn?«
    »Du starrst mal wieder Löcher in die Luft.«
    Ich schaute Oma Grete direkt an. Eigentlich war sie ja gar nicht meine Großmutter, aber aus alter Gewohnheit nannte ich sie weiter so. Ihr Mann, also Opa Hermann, war nämlich vor vielen Jahren ihrer Schwester Marie in Liebe verfallen. Sein einziger Sohn entsprang dieser Verbindung, und um einen Skandal zu vermeiden, gab Grete ihn als ihr eigenes Kind aus, nachdem Marie ihn im fernen Bayern zur Welt gebracht hatte. Womit alles geklärt sein dürfte. Wenn Papa dann wenigstens mein Vater und Mama meine Mutter geworden wäre, und … Stopp!
    Auch knapp zwei Monate nachdem bei uns Lüttjens’ die großen Familiengeheimnisse gelüftet worden waren, hatte ich noch Schwierigkeiten mit den neuen Verhältnissen.
    »Vielleicht ist dir ja mein Hermann erschienen«, fuhr Grete fort und ging flotten Schrittes in die Küche. »Der sucht dich jetzt heim, weil du ihn im Zug liegen gelassen hast.«
    Ich folgte ihr schwerfällig und überlegte, ob ich erst frühstücken und ihr dann den Hals umdrehen sollte oder umgekehrt.
    Seit mir dieses kleine Missgeschick mit der Tupperdose passiert war, verging kein Tag, an dem sie es mir nicht aufs Butterbrot schmierte.
    Butterbrot?
    Na gut, erst frühstücken.
    Während Grete leise vor sich hinschimpfte, deckte ich den Tisch und kochte Kaffee.
    In der Tupperdose hatte sich die Asche des Familienpatriarchen Hermann Lüttjens befunden, der in seinem Heimatort Nordergellersen aufgebrochen war, um mich, die abtrünnige Nele, in München zu besuchen. Wobei er mir gleich eine ungeheure Wahrheit um die Ohren hauen wollte. Dazu kam er jedoch nicht mehr, weil er in meinem Treppenhaus starb.
    Ich brachte ihn dann heim in die Heide – nicht ganz gesetzestreu und auch nicht sonderlich pietätvoll, aber dafür hundertprozentig sicher in der Tupperdose.
    Hatte ich jedenfalls gedacht, bis ich in Lüneburg so schnell aussteigen musste, dass Opa sozusagen nicht mehr mitkam.
    Aber er fand nach ein paar Tagen doch noch heim, dank einer mitreisenden älteren Dame namens Hertha Kowalski, die in der Tupperdose außer Opas Asche auch einen Prospekt unseres Ferienhofes gefunden hatte.
    Alles gut also.
    Wieso regte sich Oma Grete immer noch auf? Opa hatte ein prima Urnengrab bekommen und einen schlichten Findling als Grabstein. Von seinem Begräbnis und dem anschließenden Leichenschmaus im Heidekrug wurde bis heute voller Lob im Dorf gesprochen, und nur hinter vorgehaltenen Händen blubberte es eifrig in der Gerüchteküche um die Lüttjens’. Aber Genaues wusste man nicht.
    Besser so. Sonst war alles friedlich.
    Kein Grund für Grete, mir immer noch böse zu sein.
    »Hast du die Brötchen geholt?«, fragte sie jetzt.
    »Bin noch nicht dazu gekommen«, murmelte ich. Bis vor Kurzem hatte unser Dorfbäcker noch einen Lieferservice betrieben – in Gestalt seines einzigen Sohnes. Aber der studierte jetzt BWL in Hamburg und hatte vermutlich vor, eines Tages eine Großbäckerei zu gründen. Mit tiefgekühlten Teigklumpen zum Aufbacken. Igitt.
    Auch in einem idyllischen Heidedorf wie Nordergellersen gingen die guten alten Zeiten irgendwann gnadenlos den Bach runter.
    »Dann kannst du jetzt fahren«, sagte Grete. »Nimm Opas altes Fahrrad.«
    Lieber nicht. Draußen lauerte ein Schatten.
    Meine Kiefermuskeln wollten wieder loslegen.
    Ich tat, als müsste ich die Kaffeemaschine hypnotisieren.
    »Wir sind hier nicht im Luxushotel.« Gretes Stimme bekam einen keifenden Unterton. »Bei uns wird das Frühstück nicht aufs Zimmer geliefert.«
    Als ob ich das nicht gewusst hätte. Aber sie hielt es für nötig, mich ungefähr alle drei Minuten daran zu erinnern.
    Der Ferienhof Lüttjens war mit meiner alten Arbeitsstelle, dem Münchener Luxushotel Kiefers am Maximilianplatz, nicht zu vergleichen. Im Hotel jedoch war ich eine Angestellte gewesen, hier gehörte mir seit Kurzem die Hälfte von allem. Wobei – das allein hätte vermutlich nicht gereicht, um mich heimzuholen. Opas Anwalt hatte auch seinen Teil dazu beigetragen.
    Mein Herz galoppierte an, wie immer, wenn ich an Paul dachte. Paul Liebling, der für seinen Nachnamen echt nichts konnte, der aber jetzt mein Liebling war.
    Sein Schatten war das übrigens auch nicht. Den kannte ich, und der duftete auch supergut. Nach Zedern und kanadischem Himmel.
    Ja, sogar sein Schatten.
    Wer behauptet eigentlich, dass Liebe nur blind
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