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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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ja schon für ihn übernommen. Er trottete jetzt zur leeren Brötchentüte, schnupperte daran und fraß sie. Das Einkaufsnetz von Oma Grete auch.
    »Das überlebt der nicht«, sagte ich.
    Irene zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie wüssten, was der schon so alles gefressen hat. Letztes Weihnachten war’s ein ganzer Christstollen. Samt Verpackung. Die unverdaulichen Teile kotzt er wieder aus.«
    Ihre Ausdrucksweise war auch nicht gerade stadtfein.
    »Aber er kennt meine Oma nicht. Dieses Einkaufsnetz hat sie 1946 von ihrem allerersten eigenen Eiergeld gekauft. Sie hängt dran.«
    »Oh.«
    Irene ging auf Rüdiger zu. »Komm schon, spuck’s wieder aus, Dicker.«
    Mein Blick fiel auf ihren Schatten, und ich hätte sie brennend gern gefragt, warum sie mich seit mindestens einer Woche verfolgte. Und Rüdigers Schatten hatte dabei übrigens gefehlt. Wäre nicht zu übersehen gewesen.
    Obwohl – wenn ich es recht überlegte, hatte ich vorhin das Gefühl gehabt, da wären zwei Schatten gewesen. Aber ich war zu schnell ins Haus gelaufen, um mir sicher sein zu können. Hatte wohl geglaubt, inzwischen sogar doppelt zu sehen.
    Meine zweite Frage beantwortete sie jetzt wie von selbst.
    »Er ist noch nicht wieder ganz bei Sinnen, müssen Sie wissen. Ich habe ihn erst heute aus der Lüneburger Tierklinik wieder abgeholt.«
    »Was hat er denn angestellt? Ein komplettes Schwein gefressen?«
    Irene lächelte schon wieder so nett. »Rüdiger mag eigentlich nur süße Sachen.«
    »Marzipanschwein«, murmelte ich.
    »Wie bitte?«
    »Ach, nichts.«
    »Also, er hatte an sieben Zähnen Karies. An drei verschiedenen Tagen wurde er mit Vollnarkose behandelt, immer mit einem Tag Pause dazwischen.«
    Karies. Was auch sonst?
    »Und in der Lüneburger Klinik arbeitet eine alte Freundin von mir. Da ist es ein wenig günstiger gewesen als in Hamburg.«
    Nach Geldsorgen sah mir Irene eigentlich nicht aus. Kurz betrachtete ich die Cartier-Uhr an ihrem Handgelenk. Ein älteres Modell als meines. Ich trug meine Uhr nicht mehr, seit ich wieder auf dem Lüttjenshof lebte. So ein edles Teil passte nicht aufs platte Land.
    Rüdiger hatte im Augenblick keine Lust, den bulimischen Riesenhund zu geben. Er schaute uns aus seinen Kalbsaugen an und wirkte ausgesprochen zufrieden. Und satt. Arme Grete.
    »Ich weiß echt nicht, wie ich das meiner Oma beibringen soll«, sagte ich.
    Irene sah aus, als sei ihr plötzlich eine Idee gekommen. Vielleicht tat sie auch nur so.
    »Ich komme mit und entschuldige mich bei Ihrer Großmutter. In Rüdigers Namen.«
    »Äh …«
    »Sie sind doch von diesem Ferienhof, richtig? Haben Sie ein Zimmer frei? Rüdiger müsste sich noch ein paar Tage erholen, und ich habe sowieso noch Urlaub. In meinem Hotel in Lüneburg sind nur Hunde bis zu einer Größe von dreißig Zentimetern zugelassen.«
    Da lag Rüdiger drüber.
    Ich fühlte mich irgendwie überrannt, diesmal im übertragenen Sinne, von seinem Frauchen. Irgendetwas hatte Irene an sich, das mir nicht geheuer war.
    »Eigentlich haben wir geschlossen.«
    »Schade.«
    Rüdiger kam zu mir und stupste mir mit seiner Riesenschnauze gegen die Schulter. Ich behielt das Gleichgewicht und grinste blöd. Mist. Er hatte mein Herz erobert.
    »Für ein paar Tage geht das schon«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    Hätte ich wohl besser tun sollen. Nachdenken, meine ich.

4. Grete vs. Rüdiger
    »Der ist aber bannig groß«, stellte Papa fest, als ich mit Irene und Rüdiger den Hof erreichte.
    Gut beobachtet. Opas Fahrrad nahm sich zwischen dem Hund und mir geradezu mickrig aus.
    »Guten Morgen«, sagte Irene freundlich.
    Papa nickte knapp. »Moin.«
    Mama kam aus dem Haus gelaufen, Grete folgte ihr flott auf dem Fuße, Marie ging langsamer. Im November war ihr Rheuma immer besonders fies zu ihr.
    Alle starrten meine neuen Freunde an, vor allem den vierbeinigen.
    Nur Grete blieb praktisch. »Wo sind die Brötchen?«
    Wie zur Antwort gab Rüdiger einen würgenden Laut von sich und legte direkt vor Gretes Füßen eine schleimige Masse ab.
    »Gütiger Gott!«, rief sie aus.
    »Das ist dein Einkaufsnetz«, stellte Marie fest, und ich meinte, eine Spur von Schadenfreude aus ihrer Stimme herauszuhören.
    »Es tut mir furchtbar leid …«, setzte Irene an, kam aber nicht weiter. Da hatte Grete schon Rüdigers linkes Ohr gepackt und zog es ordentlich lang. Hatte sie bei mir früher auch gemacht. Tat aasig weh. Armer Rüdiger.
    »Du dummer, dummer Hund«, schimpfte sie.
    Eigentlich ziemlich mutig, meine
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