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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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bevor es erschossen wird.«
    »Wird gemacht!«, rief ich forsch und stand auf.
    Jetzt war ich größer als mein neuer Freund, aber nicht viel. Die Bezeichnung Kalb würde ich eventuell revidieren müssen. Glich doch eher einer Färse, groß wie das Tier war.
    Ein bisschen schwindelig war mir. Halb so wild. Eine Lüttjens ist hart im Nehmen.
    Mir fiel die Frauenstimme ein, die eben gerufen hatte. Ich sah mich um. Ein paar Sonnenstrahlen fanden ihren Weg durch die Baumkronen. Zuerst sah ich nur einen Schatten. Den kannte ich. Verdammt.
    Hilfe!
    Horrorfilm im Wald. Blair Witch Project.
    Hatten wir eher albern gefunden, Sissi und ich. Fand ich jetzt nicht mehr. Ganz im Gegenteil.
    Eine Frau trat hinter dem Stamm der nächsten Eiche hervor. Ich hielt mich an einem armdicken Halsband fest. Nur zur Sicherheit. Obwohl sie auf den zweiten Blick nicht wirklich gefährlich aussah. Höchstens deplatziert im dunkelgrauen Business-Zweiteiler, mit Pumps und Seidenstrümpfen. So mitten im Wald. Groß, schlank, um die fünfzig, perfekt gelegte, schulterlange blonde Haare, helle Augen, minimales Make-up. Hätte gut an die Wall Street gepasst, oder meinetwegen in die Hamburger City Nord. Mit einer Aktentasche aus feinstem Kalbsleder in der einen und einem iPad in der anderen Hand.
    O Gott. Kalbsleder.
    Egal. Sie wirkte harmlos.
    Trotzdem tat ich so, als würde der Hund mir gehören. War ja möglich, dass sie jemand anderes gerufen hatte. Ihren Mann zum Beispiel.
    Rüdiger-Schatz, bei Fuß!
    Ja, klar.
    »Vorsicht, der ist bissig!«, warnte ich sie.
    »Nur bei frischen Brötchen«, gab sie zurück. »Da wird er immer schwach. Rüdiger, bei Fuß!«
    Diesmal gehorchte er. Wahrscheinlich, weil es bei mir nichts mehr zu holen gab.
    Er machte einen großen Satz auf sie zu. Ich flog mit. Hätte das Halsband loslassen sollen.
    »Autsch!«
    Ich landete auf dem Hosenboden. Wenigstens nicht auf dem Kopf.
    »Haben Sie sich wehgetan?« Rüdigers Frauchen reichte mir eine Hand mit perfekt manikürten Nägeln.
    Ich rappelte mich allein auf.
    »Geht schon«, murmelte ich und überlegte, ob ich mich beim ADAC als Crashtest-Dummy bewerben sollte. Die Voraussetzungen brachte ich mit. »Aber so ein Vieh müssen Sie an der Leine halten.«
    »Hab’s versucht. Er hat sich losgerissen, als er die Brötchen gerochen hat, und ist quer durch den Wald gestürmt. Die Leine muss er irgendwo verloren haben.« Sie sah an sich herunter und deutete auf die schlammbespritzten Pumps. »Eigentlich wollte ich Rüdiger nur ein wenig spazieren führen und keinen Geländelauf machen. Aber mein Dicker hat eben seinen eigenen Kopf.«
    »Kann man so sagen.«
    Während wir freundliche Konversation betrieben, bezwang ich langsam meine Angst und musterte sie unauffällig.
    Irgendwas stimmte nicht.
    Klar, sie wirkte immer noch wie eine toughe Geschäftsfrau, aber darunter war etwas anderes verborgen. Die Augen zum Beispiel. Dieser helle klare Blick passte besser auf einen von Wacholdersträuchern eingerahmten Hügel in der Lüneburger Heide als in einen Straßenzug mit Hochhäusern.
    Und die Hände. Trotz aller feinen Pflege wirkten sie zupackend.
    Na, und mal ehrlich. Als Hund hätte ein Chihuahua zum perfekten Bild einer Großstädterin gepasst. Getragen in einer Tasche von Coco Chanel. Oder ein Pekinese.
    Kein Kalb jedenfalls.
    »Rüdiger ist eine reinrassige dänische Dogge«, erklärte sie jetzt, als hätte sie einen Teil meiner Gedanken erraten. »Als Welpe war er so süß. Ich habe zwar gewusst, dass er recht groß werden konnte, aber ich habe einfach nicht widerstehen können.« Sie lächelte leicht und war mir auf einmal fast sympathisch. Nett, dieses Lächeln.
    »Recht groß ist die Untertreibung des Jahres«, erwiderte ich.
    Das Lächeln wurde breiter, beinahe fröhlich.
    »Ist Rüdiger ein typischer Name für eine Dogge?« Mir ging das Bild vom Ehemann-bei-Fuß noch nicht aus dem Kopf.
    Sie winkte ab. »Ach was, der Hund hat mich nur an jemanden erinnert.«
    Fand ich mysteriös, die Antwort, hakte aber nicht weiter nach. Ging mich schließlich nichts an.
    »Und weil er Auslauf braucht, kommen Sie manchmal aus New York rübergejettet?«
    »Wie bitte?«
    »Vergessen Sie’s.«
    »Ich bin aus Hamburg.«
    Ganz daneben hatte ich also nicht gelegen.
    »Irene Wedekind.« Wieder streckte sie die Hand aus.
    Diesmal ergriff ich sie. Sehr kräftiger Händedruck. Passte nicht zu ihrem Styling. Wie erwartet.
    »Nele Lüttjens.«
    Rüdiger stellte sich nicht vor. Hatte sein Frauchen
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