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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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    Ach nein, die nicht. Gestern waren die Herbstferien zu Ende gegangen, und bis Dezember würde der Hof geschlossen bleiben. Einige Renovierungsarbeiten standen an, und zwei Ferienwohnungen sollten auch in Angriff genommen werden.
    Ja, und dann war da noch das nette kleine Haus, das Paul und ich uns auf unserem Grundstück bauen wollten. Wir hatten schon sehr oft darüber geredet.
    Nächtelang.
    Wenn wir nicht gerade Besseres zu tun hatten. Ihm machte es nichts aus, nach Lüneburg in seine Anwaltskanzlei zu pendeln, und ich würde froh sein, mit ihm hier auf meinem Besitz zu leben, jedoch nicht unter demselben Dach wie der Rest der Lüttjens-Sippe. Ich liebte jeden einzelnen von ihnen, ehrlich. Aber seit ich wusste, was fast alle anderen schon immer gewusst hatten, behandelten sie mich wie ein rohes Ei. – Oder wie eine Handgranate, die jederzeit hochgehen konnte.
    Nur Grete nicht. Die war wie immer. Gott sei Dank!
    Ach ja, ein eigenes Häuschen, für Paul und mich. Und für unsere Kinder, über deren Zahl ich mir mit mir selbst noch nicht ganz einig war.
    Einzelkind? Besser nicht.
    Wolfram und Silke aus meiner alten Clique mit ihren sechs Kindern nacheifern?
    Hilfe! Irgendwas dazwischen.
    Wenn ich mit Paul über unsere Zukunft sprach, waren Kinder noch kein Thema. Man soll die Männer bekanntlich nicht überfordern. Über ein Haus zu reden war unverfänglicher. Zu dumm nur, dass ich nie die Zeit fand, mich mit den Bauplänen zu befassen. Irgendwas kam immer dazwischen. War ja auch ziemlich viel Arbeit, so einen Hof zu führen.
    Paul sah das ein.
    Ich hatte nicht sehr oft Zeit für ihn.
    Paul verstand mich.
    Wirklich?
    Nachdenken, Nele!
    Bisschen zackig.
    Endlich löste ich den Blick vom Dachfirst und sah mich um.
    Auf der einen Seite erstreckten sich Wiesen und Felder, auf der anderen lag der Weg in Richtung Baggersee und Kiefernwäldchen.
    Nach Baggersee war mir nicht zumute. Gut möglich, dass sich ein paar Leute aus meiner alten Clique dort zum Frühschoppen trafen.
    Oder mein Exfreund Karl Küpper saß auf dem umgestürzten Baumstamm und wartete voller Sehnsucht auf mich. Hatte er ja schon mal gemacht. Und das war ziemlich gefährlich gewesen. Zumindest für mein Seelenheil.
    Blödsinn! Die Jungs und Mädels aus der Clique waren inzwischen genau wie ich keine sechzehn mehr und hatten an einem Montagmorgen anderes zu tun, als sich die Kante zu geben oder in einen alten Liebestaumel zurückzufallen.
    Karl war mit dem Melken fertig und fütterte jetzt die Kälbchen mit der Flasche.
    Ich kannte seinen Zeitplan noch sehr gut von früher. Und an mich verschwendete er sowieso keine Gefühle mehr.
    Hans-Dieter dachte vermutlich an Jan, während er zu seinem Job als Landmaschinenverkäufer in Lüneburg unterwegs war.
    Pamela und Anke schliefen wahrscheinlich noch und träumten vom Märchenprinzen, der gefälligst endlich mal auftauchen sollte.
    Die anderen waren auch vollauf mit ihrem Erwachsenenleben beschäftigt.
    Am Baggersee war keiner von denen.
    Egal. Ich wollte da nicht hin.
    Zu viele Erinnerungen dümpelten auf dem Wasser, krümelten im Ufersand rum und schwebten durch die Novemberluft. Ich musste jetzt mal über die Zukunft nachdenken. Lieber drum herumfahren, das Kiefernwäldchen hinter mir lassen und in den großen Laubwald eintauchen, der sich gleich danach in Richtung Süden erstreckte. Dorthin war ich auch früher gern verschwunden, wenn mir alles zu viel wurde.
    Schon strampelte ich los. Opas altes Rad hüpfte wacker über den sandigen Weg, das Einkaufsnetz mit der Brötchentüte setzte zum Salto an, schaffte es aber nicht ganz.
    Wenig später tauchte ich in das Zwielicht unter uralten Eichen ein, roch den Duft feuchten Laubes und lauschte den tiefen Klängen einiger Jagdhörner. Gedankenverloren sang ich mit. Opa Hermann hatte mir früher einige Texte beigebracht. Wer sonst?
    »Frisch auf zur Jagd. Vorbei die Nacht, lasset uns jetzt jagen …«
    Ich brach mitten im Text ab, sprang vom Rad und sah mich panisch um.
    Shit! Im November war Jagdsaison. Schon vergessen, Nele? Da hatte niemand etwas im Wald zu suchen, der nicht Jäger, Treiber, Jagdhund oder Beute war.
    Oder zur Jagdhornbläsergruppe von Nordergellersen gehörte. Wie Opa vor vielen Jahren.
    Meine Augen durchbohrten das Dickicht, die Jagdhörner schwiegen.
    Dann ein Knacken, ein Rascheln, aber nirgends ein Schuss.
    »Was …«, brachte ich gerade noch hervor, bevor ich von einem Kalb umgerannt wurde.
    Mit voller Wucht knallte meine Stirn
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