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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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macht? Ich finde, sie macht auch blöd im Kopf.
    Aber schön blöd.
    »Brötchen holen!«, schrie Oma Grete.
    Mein Herzensgalopp brach abrupt ab. Ich schaute aus dem Fenster. Weit und breit war kein flüchtender Schatten zu sehen. Na gut.
    »Ich fahre ja schon.«
    »Das will ich aber auch hoffen. Und sieh zu, dass du schnell wieder hier bist. Deine Eltern stehen in zehn Minuten auf.«
    Eltern? Für Grete gab es da keine Zweifel.
    »Und deine nichtsnutzige Großtante poltert oben schon rum. Also mach hin!«
    Ich dachte an die zarte leise Marie, Gretes um zwei Jahre jüngere Schwester. Marie polterte nicht, Marie war sanft und ruhig. Schon wollte ich etwas zu ihrem Schutz sagen, als ich es mir anders überlegte.
    Sollten Grete und Marie doch weiter zanken.
    Nach Opas Begräbnis hatte es für kurze Zeit so ausgesehen, als würden sich die Schwestern endlich versöhnen – sozusagen zum Ausklang eines langen Lebens, in dem sie denselben Mann geliebt hatten. Wäre ihnen ja zu wünschen gewesen, nachdem der zu Asche verfallene Zankapfel unter dem Findling lag. Aber siebzig Jahre Zoff legte man vermutlich nicht so leicht ab.
    Vielleicht hätte ich erst einen Kaffee trinken sollen, bevor ich schon wieder über meine Familie nachdachte. Oder einen Köm.
    Von meinem Lieblingsprosecco Berlucchi war ich inzwischen abgekommen. Echter Doppelkorn war in der Lüneburger Heide auch leichter zu kriegen.
    Das Gedankengeröll in meinem Kopf kullerte munter hin und her, stieß schmerzhaft gegen Nervenstränge und sammelte sich endlich zu zwei schlichten Aussagen.
    Erstens: Mein jüngerer Bruder Jan war der Sohn von Papa und Mama.
    Zweitens: Ich war niemandes Tochter, bloß ein Findelkind.
    Jägermeister ginge auch.
    Ein kräftiger Puff zwischen die Rippen brachte mich zur Vernunft. Gleichzeitig durchbohrte mich Gretes Blick. »Glaub ja nicht, du kannst dich hier auf die faule Haut legen, bloß weil du adoptiert bist. ’Ne Extrawurst brät dir keiner.«
    Wieder durchzuckten mich Mordgelüste. Seit das große Familiengeheimnis aufgeklärt war, machte sie sich einen Spaß daraus, mich an meine mysteriöse Herkunft zu erinnern.
    »Nein«, erwiderte ich langsam. »Das habe ich nicht vor. Aber als Eigentümerin und verantwortliche Geschäftsführerin des halben Hofes fahre ich Brötchen holen, wann ich will.«
    »Pfft«, machte Grete und schaltete Maries alten Kassettenrekorder ein. Den hatte ich mal in die Speisekammer verbannt, aber er stand längst wieder auf der Fensterbank.
    So viel zu meiner neuen Autorität.
    Die andere Hälfte des Hofes war übrigens zu gleichen Teilen zwischen Papa und Jan aufgeteilt worden. Genau wie seiner Schwägerin Marie hatte Opa Hermann seiner Frau Grete bloß lebenslanges Wohnrecht zugestanden. Was ja nicht mehr lange sein konnte, wie sie selbst zu sagen pflegte, und das, nachdem sie sich ein Leben lang totgeschuftet hatte.
    Ein echtes Grete-Drama.
    Marie beklagte sich übrigens nicht. War nicht ihre Art. Sie schwieg lieber. Das konnte sie richtig gut.
    Heino, Maries erklärter Lieblingssänger, war vermutlich Gretes Meinung und verkündete, er werde sich jetzt einen Whisky und einen Gin gönnen, und zwar mit Karamba und Karacho.
    Der war mir jetzt auch sympathisch.
    Ich sah zu, dass ich rauskam.
    Flink huschte ich über den Hof und holte mir im Stall das alte Fahrrad.
    Am Tor zögerte ich dann. Mein Blick schweifte erst hinüber zum Küpperhof, dann die Dorfstraße hinunter, dann rechts und links über die Felder.
    Nirgends ein Schatten, der dort nicht hingehörte.
    Also gut. War alles bloß Einbildung gewesen.
    Ich strampelte los in Richtung Dorfzentrum und Bäcker.
    Morgens um halb sieben war in Nordergellersen die Welt noch in Ordnung.
    In der Familie Lüttjens herrschte ein bisschen Frieden, und ich hatte meine große Liebe gefunden.
    Meinen Liebling.
    Wir konnten nun alle mal zur Ruhe kommen. War ja auch dringend nötig nach der ganzen Aufregung, die uns mitten in der Heideblüte heimgesucht hatte. Die ganze Familie war einmal kräftig durchgeschüttelt und dann mehr oder weniger verwirrt im staubigen Hof liegen gelassen worden.
    Während ich mich dem spitzen roten Turm unserer Dorfkirche St. Johannis näherte, dachte ich ganz fest an Paul.
    Meine Füße traten in die Pedale, mein Herz setzte zu neuen Galoppsprüngen an.
    Blöd nur, dass mir dabei die ganze Zeit ein alter Spruch im Kopf herumspukte: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

2. Frisch auf zur Jagd
    Die Brötchentüte hing
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