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Ismaels fliegende Wale

Ismaels fliegende Wale

Titel: Ismaels fliegende Wale
Autoren: Philip Jose Farmer
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Ein Mann überlebte.
    Der mächtige weiße Wal war mit seinem seltsamen Passagier und dem strangulierten Wahnsinnigen im Schlepptau tief hinabgetaucht. Das Walfangschiff befand sich auf seiner letzten – diesmal vertikalen – Reise. Selbst die Hand mit dem Hammer und der Raubvogel mit der an den Mast genagelten Schwinge waren in der Tiefe versunken. Der Ozean hatte die Spuren des Menschen mit der Gewandtheit seiner Milliarden Jahre währenden Erfahrung getilgt. Der Mann, der aus dem Boot gefallen war, schwamm herum und wußte, daß er bald bei seinen Kameraden sein würde.
    Und dann brach der schwarze Strudel, der letzte Seufzer des sinkenden Schiffes, auf und spülte den Lebensrettungssarg Queequegs wie einen Tümmler an die Oberfläche, wo er sich überschlug, verharrte und dann sachte auf dem Wasser dümpelte. Der vermeintliche Tümmler wurde zu einer schwarzen Flasche, die eine Botschaft der Hoffnung enthielt.
    Auf der Oberfläche des Sarges ausgestreckt, trieb er einen Tag und eine Nacht über die glatte und friedhofsähnlich wirkende See dahin. Am zweiten Tag fand die hin und her kreuzende Rahel, die sich auf der Suche nach ihren verlorenen Kindern befand, eine andere Waise.
    Für Kapitän Gardiner war Ismaels Geschichte die seltsamste, die er je gehört hatte – und er hatte viele gehört. Da er aber eine äußerst dringliche Angelegenheit zu erledigen hatte, verblieb ihm nur wenig Zeit, sich zu wundern.
    Und so kreuzte die Rahel weiter ihren ziellosen Kurs und hielt nach dem Walfangboot Ausschau, in dem sich der kleine Sohn des Kapitäns befand. Der Tag verstrich, die Nacht senkte sich über die See hinab, und die Laternen wurden angezündet. Es war eine Vollmondnacht, in deren Licht die geglätteten Fluten glitzerten und glänzten.
    Man hatte den Lebensrettungssarg Queequegs an Bord gehievt. Kapitän Gardiner hatte ihn umkreist, mit mißtrauischen Blicken gemustert und, während Ismael ihm seine Geschichte erzählte, von Zeit zu Zeit einen näheren Blick auf die seltsamen Schriftzeichen geworfen, die seinen Deckel zierten.
    „Ich frage mich“, murmelte der Kapitän, „was dieser heidnische Wilde schrieb, als er diese Zeichen schnitzte. Es ist unglaublich, daß ein ungebildeter Wilder derartige Schriftzeichen machen kann. Sind sie ein Gebet an einen seiner Baal-ähnlichen Götter? Ein Brief an irgendein Wesen, von dem er denkt, daß es im Jenseits lebt? Oder stellen sie Worte dar, die, wenn man sie ausspricht, ein Tor in eine Welt oder Zeit öffnen, die uns Christen wenig anziehend fände?“
    Ismael erinnerte sich an diese Spekulationen. Und später fragte er sich, ob der Kapitän mit seiner letzten Bemerkung nicht tief ins Herz der Wahrheit hineingestoßen hatte. Waren die verschnörkelten Zeichen, die zu verschwimmen begannen, wenn man sie allzu intensiv anschaute, die Umrisse eines Schlüssels, der einem den Zugang zu einer anderen Zeit verschaffte?
    Aber auch Ismael hatte nur wenig Zeit zum Nachdenken. In Anbetracht der Schrecken, die er durchlebt hatte, gestattete Kapitän Gardiner Ismael, für den Rest des Tages und die Hälfte der Nacht zu schlafen. Dann wurde er geweckt und auf die Spitze des Hauptmastes geschickt, um Ausschau zu halten und so für seine Rettung zu bezahlen. Während in seinem Rücken eine Laterne brannte, suchte er die See ab, die inzwischen bar jeder Bewegung dalag und um die Rahel herum wie ein Quecksilbersee wirkte. Es herrschte absolute Windstille, so daß man gezwungen war, Boote zu Wasser zu lassen, die die Rahel ins Schlepptau nahmen, und das einzig hörbare Geräusch bestand aus dem Klatschen der Riemen, als die Männer zu rudern begannen, und dem gelegentlichen Grunzen eines schwitzenden Matrosen. Die Luft schien ebenso dick zu sein wie die See, und sie hatte in der Tat das Aussehen eines schwersilbernen Leichentuchs angenommen. Der Mond stand voll und glitt über den wolkenlosen Himmel dahin wie durch einen trägen Strom.
    Plötzlich stellten sich Ismaels Nackenhaare, als hätten sie die letzten Tage über auf diese Reaktion gewartet, steil auf. Die Spitzen der vor und unter ihm befindlichen Rahnocken schienen in einem geisterhaften Licht zu leuchten, und jeder der dreispitzigen Lichtpfähle schien zu brennen. Er drehte sich um und sah nach hinten. Aus den Spitzen der Rahnocken sprühten phantomähnliche Flammen.
    „Elmsfeuer!“ rief jemand aus.
    Ismael dachte über das andere Schiff nach und fragte sich, ob auch dieses hier verdammt war. War er lediglich gerettet
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