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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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Oma.
    Rüdiger hätte mit einem Happs ihren Arm verschlingen können. Tat er aber nicht.
    Er winselte. Groß, aber feige.
    »Olle Bangbüx«, knurrte Grete. Recht hatte sie.
    Jetzt legte er sich sogar auf den Boden, wobei das Ohr noch ein Stück länger wurde, weil Grete sich nicht so schnell bücken konnte.
    »Ach, bitte«, sagte Irene. »Lassen Sie Gnade walten.«
    Grete warf ihr einen schnellen Blick zu. »Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie von uns? Waren Sie schon mal hier?« Zig Jahre im Fremdenverkehr hatten ihren Charakter nicht nachdrücklich geprägt.
    Irene wurde blass. Sie fürchtete wohl, dass Rüdiger für den Rest seines Lebens mit einem längeren und einem kürzeren Ohr entstellt sein würde.
    »Frau Wedekind möchte für eine Woche ein Zimmer mieten«, sagte ich an ihrer Stelle.
    Endlich schritt Papa ein und löste mit Gewalt Gretes Finger vom gequetschten Doggen-Ohr.
    Mama, seit zwei Wochen wieder naturblond mit ein ganz klein wenig Weiß darin und genauso groß wie Irene, trat einen Schritt auf sie zu. »Wir haben geschlossen.«
    Ich staunte über ihren unfreundlichen Ton. Sie kannte sich doch auch aus im Fremdenverkehr, und dank ihrer esoterischen Freunde in Hamburg übte sie sich seit geraumer Zeit im äußeren wie im inneren Frieden. Merkwürdig. Meiner Meinung nach wäre Irene ein netter ruhiger Gast gewesen, und Rüdiger hätte bei Ernie und Bert Platz gefunden. Früher waren in dem Stall ja auch Kühe untergebracht gewesen.
    Mama schien jedoch eine spontane Abneigung gegen die Besucherin entwickelt zu haben. Hm. Musste ein Instinkt sein, den ich zumindest ansatzweise teilte.
    »Peace!«, wollte ich ihr zurufen, hielt aber meine Klappe.
    Selbst Rüdiger, der nun befreit aufsprang und sie mit schräg gestelltem Kopf anhimmelte, erzielte keinerlei Wirkung. Sie drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand wieder im Haus.
    »Nanu«, murmelte Papa. Nachdenklich kratzte er sich am Haaransatz unter seiner Schirmmütze. Dann traf er eine Entscheidung.
    »Kommen Sie doch erst einmal rein und frühstücken mit uns. Dann sehen wir weiter.«
    »Brötchen gibt es aber keine«, sagte Grete und starrte Rüdiger böse an. Der wedelte tapfer mit dem Schwanz.
    Papa ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Dann eben Brot und Toast.«
    »Sehr gern«, erwiderte Irene. »Herzlichen Dank für die Einladung.«
    »Diese Ausgeburt der Hölle bleibt draußen«, entschied meine Oma und zeigte streng zu Boden. Rüdiger, der zum Glück kein Grete-Deutsch verstand, aber die Geste richtig interpretierte, legte sich zu ihrer Überraschung brav wieder hin.
    Irene lobte ihn, Papa grinste, ich strich ihm kurz über den breiten Schädel. Sogar Marie rang sich ein zaghaftes Lächeln ab, blieb aber in sicherer Entfernung stehen. Einzig Grete war nicht bereit, die Sache mit dem Einkaufsnetz so schnell zu verzeihen. Ihr strenger Blick wanderte so lange zwischen schleimiger Masse und Rüdiger hin und her, bis dieser den Kopf zwischen seine Pfoten steckte und so tat, als sei er unsichtbar.
    Klasse! Ein unsichtbares zwei Meter langes Kalb im Staub des Lüttjenshofes.
    Muss man gesehen haben.
    Marie und ich gingen als Letzte hinein.
    »Tut es weh?«, fragte sie leise und deutete auf meine Stirn.
    Jetzt, da sie es sagte …
    »Ja, das gibt bestimmt wieder eine dicke Beule.«
    »Ich mache dir gleich einen Umschlag drauf.«
    Liebe, liebe Marie.
    »Mit essigsaurer Tonerde. Die hilft am besten.«
    War ein gutes altes Rezept von Opa. Damit hatte er siebzig Jahre lang geschwollene Kuh- und Pferdebeine behandelt.
    Lässig winkte ich ab. »Das hat auch bis nach dem Frühstück Zeit.« Mein kleines Abenteuer hatte mich hungrig gemacht, und von gewissen Bauernkuren hielt ich nicht so wahnsinnig viel.
    In der Küche schwieg Heino, und alle anderen schwiegen auch. Grete goss Kaffee ein, Marie reichte Brotscheiben herum, Mama wechselte einen langen Blick mit Papa, Irene schaute stumm in ihre Tasse.
    Komische Stimmung. Als wüssten mal wieder alle etwas. Alle außer mir. Wie ich das hasste! Mir verging der Appetit.
    Irgendwo schrillte ein Telefon und rettete mich.
    »Ist meins«, sagte ich und sprang auf. Im Flur lag mein Blackberry und gab diesen altmodischen Klingelton von sich, den ich so liebte.
    »Hallo, Paul«, flötete ich, nachdem ich seinen Namen auf dem Display gelesen hatte. Wie hatte er es bloß geschafft, mich genau im richtigen Augenblick anzurufen? Als würden meine seelischen Schwingungen in null Komma nix zu ihm nach
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