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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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Lüneburg sausen.
    »Du ahnst nicht, was mir passiert ist – warte mal.«
    Ich lauschte.
    Nebenan herrschte noch immer das berühmte Lüttjens-Schweigen. Jedes Wort, das ich sagte, konnte gehört werden. Musste ja nicht sein.
    Draußen lag Rüdiger auf der Lauer. Möglicherweise würde der ein Blackberry mit einer Tafel Schokolade verwechseln.
    »Ich gehe mal eben rauf in mein Zimmer«, flüsterte ich verschwörerisch. »Da kann ich frei reden.«
    Von Paul kam keine Antwort, oder ich hörte sie nicht, weil ich die Treppe hochlief.
    »So«, sagte ich und ließ mich auf mein Bett fallen. »Jetzt sind wir allein. Also, hör zu, heute früh bin ich zum Bäcker geradelt, und auf dem Rückweg habe ich noch einen kleinen Abstecher in den Wald gemacht …« Die Gründe für den Ausflug verschwieg ich. Über meine klitzekleinen Zweifel an seiner Liebe im Besonderen und unserer Zukunft im Allgemeinen hätte er bestimmt nur gelacht. Während ich den unglaublichen Kalbshund beschrieb, stellte ich mir sein wunderbares großes Lachen vor, das ganz tief aus dem Bauch herauskam und bis in die Augenwinkel reichte.
    Wann hatte ich es das letzte Mal gehört? Musste ziemlich lange her gewesen sein. Schade.
    Und warum eigentlich?
    Gab es für meinen Liebling etwa mit mir nichts mehr zu lachen?
    Shit!
    Da waren sie wieder, die Zweifel.
    Schnell erzählte ich weiter. »Also habe ich Frau Wedekind ein Zimmer angeboten, aber Mama scheint was gegen sie zu haben. Dabei kennen sie sich gar nicht. Und Grete ist das Gegenteil von gastfreundlich. Jetzt sitzen sie alle in der Küche und …« Ich brach ab.
    Mein Blick war zu der hässlichen Ikea-Uhr an der Wand gewandert. Nach dem Treffer mit einem Prosecco-Korken war sie mal vorübergehend stehen geblieben. Inzwischen lief sie wieder.
    Schon nach neun. Irgendetwas wollte aus meinem Unterbewusstsein nach oben drängen.
    Die Anwaltskanzlei Liebling & Meyer öffnete pünktlich um acht Uhr dreißig. Normalerweise führte Paul keine Privatgespräche während der Arbeitszeit. Da war er eher preußisch veranlagt.
    Ich früher auch. Im Kiefers hatte ich als Erste Hausdame unter den Zimmermädchen für Zucht und Ordnung gesorgt. Seit ich wieder auf dem Lüttjenshof lebte, entwickelte ich in manchen Dingen eine eher mediterrane Einstellung. Anrufe zu den unmöglichsten Zeiten bei Paul gehörten dazu.
    »Bis du noch gar nicht in der Kanzlei?«, tastete ich mich vor. Da war etwas, das mir entfallen war. Bloß was?
    Nur eines wusste ich mit Sicherheit: Hätte er schon hinter seinem Schreibtisch gesessen, hätte Paul mich jetzt nicht angerufen. Sein Partner Horst Meyer, meiner Meinung nach ein nicht so angenehmer Zeitgenosse, hätte bestimmt was dagegen gehabt. Dieser Meyer war zwar weder Pauls Vater noch sein Chef, aber seine Fälle brachten das meiste Geld ein, und deswegen plusterte er sich gern auf.
    »Nele …«
    »Na, ich freue mich jedenfalls, dass du anrufst. Ich weiß echt nicht, was die alle haben, und …«
    »Nele!«
    Mein Unterbewusstsein führte einen Befreiungsschlag aus und traf mit seiner eigenen Logik die Beule an meiner Stirn.
    »Aua!«
    »Nele?«
    Nicht besonders gesprächig, mein Liebling. Nun, das war auch nicht mehr nötig.
    »Es tut mir so leid, Paul! Ich habe das total vergessen. Du weißt doch, gestern hatten wir noch den Abreisetag, und heute früh musste mich Grete unbedingt zum Bäcker schicken. Dann der kleine Umweg und …« Ich brach schon wieder ab. Hatte ich ja gerade alles erzählt.
    Blöd nur, dass ich um diese Zeit eigentlich längst in Lüneburg sein sollte. Zusammen mit Paul. In einem Möbelhaus. Einem deutschen übrigens, keinem schwedischen. Wir wollten uns Einbauküchen ansehen. Noch nicht aussuchen, nein, denn wir kannten ja noch nicht die genauen Maße unserer zukünftigen Küche, ebenso wenig wie die des übrigen Hauses; aber die Angebote, die ich in der Landeszeitung gelesen hatte, klangen so toll, dass ich Paul überredet hatte, dort mal hinzufahren. An einem Montagmorgen, an dem er normalerweise arbeiten musste.
    Er hatte sich extra freigenommen.
    Für mich.
    Für uns.
    »Pass auf«, sagte ich. »Ich fahre jetzt sofort los und bin in einer guten halben Stunde da, okay?«
    Paul schwieg.
    »Vielleicht schaffe ich es auch schneller.«
    Er schwieg immer noch.
    »Der Berufsverkehr ist ja jetzt vorbei. Du wirst sehen, ich bin ruckzuck da.«
    Endlich redete er wieder mit mir. »Ist nicht so wichtig. Ich melde mich wieder.«
    Ein längeres Schweigen wäre mir glatt
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