Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
Vom Netzwerk:
Verwandten?«, erkundigte sich Jan bei Margherita.
    »Noch nicht hier.«
    »Die haben sich wohl an die Geschwindigkeitsbeschränkungen gehalten«, sagte Mama, noch immer ein bisschen blass um die Nase.
    Jan grinste.
    In diesem Moment erreichten alle fünf Autos den Parkplatz, und die Occhipintis staunten nicht schlecht, als sie uns Barbaren entdeckten.
    Die Blicke wurden finster. So etwas kratzte am Stolz eines italienischen Mannes.
    Marcello erstickte feindselige Gefühle im Keim, indem er nun stellvertretend für den Padrone die Leitung der Suchaktion übernahm. Mein nonno war nicht mitgekommen, ebenso wenig wie alle anderen Familienmitglieder über sechzig. Ich sollte noch früh genug erfahren, warum.
    Wieder wurden Teams aufgestellt, und während ich darauf wartete, dass mein Name eingeteilt wurde, sah ich, wie Rüdiger davonlief.
    Außer mir bemerkte es niemand, denn alle Augen waren auf Marcello gerichtet. Ich überlegte blitzschnell.
    Machte ich die anderen darauf aufmerksam, gab es womöglich nur neues Chaos. Und vielleicht war Rüdiger lediglich der Duft einer Pasticceria in die Nase gezogen. So ausgehungert, wie er war, konnte ich es ihm nicht verdenken.
    Also ging ich ihm nach, ohne irgendjemandem Bescheid zu geben – was sich als Fehler herausstellen sollte.
    Im letzten Moment schnappte ich mir noch eine Flasche Wasser von der Pyramide, die Gianpaolo und Gianpietro für alle Teilnehmer der Suchaktion aufgebaut hatten – was mir offenbar jemand eingeflüstert hatte, der viel klüger war als ich. Vielleicht Opa Hermann? Nee, der konnte bei Jans Fahrstil nun wirklich nicht mitgekommen sein.
    Von Rüdiger sah ich nur noch die Schwanzspitze, als ich um die nächste Ecke bog. Ich fing an zu rennen.
    Fünf Minuten später wusste ich, warum die ältere Generation zu Hause geblieben war. Ich lief eine Gasse bergauf und schwor mir, in Zukunft dreimal in der Woche ins Fitnessstudio zu gehen. Nach dieser steilen Gasse kam die nächste, und dann noch eine, und dann noch eine. Durch die Nase und den Schutzgips bekam ich nur schwer Luft. Ich musste durch den Mund atmen und hatte schnell einen ausgetrockneten Hals. Mein Gesicht tat mir auch wieder weh.
    Rüdiger lief jetzt langsamer, sonst hätte ich ihn längst verloren gehabt. Dem machten die Steigungen auch schwer zu schaffen, zumal er seit Tagen nichts zu Fressen bekommen hatte.
    Ich rief nach ihm, und er blieb tatsächlich stehen und wartete auf mich.
    Eine Pasticceria war definitiv nicht sein Ziel. Mittlerweile waren wir tief ins Höhlenlabyrinth vorgedrungen, und hier gab es keine Geschäfte mehr. Nur ein paar Touristengruppen, die brav ihren Reiseführern folgten und sich ständige Ermahnungen anhörten, bloß nicht die Gruppe zu verlassen. Vor der Frau mit dem zerschlagenen Gesicht und dem Riesenhund wichen alle im Pulk zurück.
    »Sie sollten hier nicht allein rumlaufen!«, rief mir einer der Reiseführer auf Deutsch zu.
    »Keine Sorge, ich kenne mich aus, und das hier ist ein Fährtensuchhund. Der findet immer wieder hinaus.«
    Manchmal geschehen im Leben Wunder, wenn man nur fest daran glaubt und laut darüber redet.
    Der Reiseführer schien unsicher, aber schließlich ließ er mich ziehen. Ich war ja keines seiner Schäfchen.
    »Denken Sie daran, dass Sie oben keinen Handyempfang mehr haben«, rief er mir noch nach.
    Super. Das baute mich so richtig auf.
    Ich trank zwei Schlucke Wasser und goss dann ein wenig davon in meine hohle Hand für Rüdiger. Der hätte noch ein paar Liter mehr gebraucht.
    »Tut mir leid, Dicker. Das müssen wir uns einteilen.«
    Er schien zu verstehen und hechelte zum Ausgleich eine Runde schneller. Das war aber auch heiß hier! Obwohl die Sonne schon tief am Himmel stand, herrschten Temperaturen von gut dreißig Grad. Der Tuffstein hatte die Wärme des Tages gespeichert und gab sie nun wieder ab.
    Kurz entschlossen zog ich meine Jacke aus und ließ sie einfach liegen – was ich noch bedauern sollte. Im T-Shirt war mir gleich wohler zumute. Ungefähr zwanzig Minuten lang. Dann drangen Rüdiger und ich in einen Bereich ein, der den ganzen Tag im Schatten gelegen hatte. Nun fror ich. Zurückgehen, um die Jacke zu holen? Ausgeschlossen. Würde ich wahrscheinlich sowieso nicht wiederfinden. Also die Hände um den Körper schlagen und weiterlaufen, immer weiter.
    Mit der Zeit begann ich, an Rüdiger zu zweifeln. Er schien manchmal orientierungslos, lief mehrmals dieselbe Gasse hin und her, führte mich auf einen Weg, der im Nichts
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher