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Oma 04 - Omas Erdbeerparadies

Oma 04 - Omas Erdbeerparadies

Titel: Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
Autoren: Janne Mommsen
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Tanzorchester mit schmachtenden Violinen «Spanish Harlem». Die ältere Frau stellte es mit einem energischen Knopfdruck aus.
    «Olufs …», nuschelte sie und setzte sich.
    Er nahm auf dem einzigen Stuhl gegenüber der Essecke Platz.
    «Das sind Edda und Maike.»
    Maike war die Jüngere, die ihm die Tür geöffnet hatte. Er deutete ein Lächeln an. Aber niemand reagierte.
    «Bist du der Sohn von Peter Peterson?», fragte ihn die ältere Frau ins Gesicht.
    Als er den Namen seines Vaters hörte, fing der Boden unter ihm zu schwanken an, wie vorhin auf der Autofähre. Mit der Frage hatte er nicht gerechnet, vor allem nicht bei fremden Leuten, die er noch nie im Leben gesehen hatte. Viele behaupteten, dass er und sein Vater dieselbe Kopfform und die gleichen Augen besaßen. War die Ähnlichkeit so deutlich? Fest stand, dass die Olufs seinen Vater von früher kannte. Wahrscheinlich waren sie zusammen aufgewachsen.
    «Nein, wieso?», hüstelte er.
    «Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.»
    «Mein Vater ist Kanadier in der vierten Generation, seine Familie stammt aus Irland», log er. «Eine Agentur in Toronto hat mir das Nachbarhaus vermittelt.»
    Hoffentlich überzeugte sie das.
    «Und woher sprechen Sie so gut Deutsch?», erkundigte sich die ältere Frau misstrauisch.
    «Meine Mutter stammt aus Regensburg.» Das war die nächste Lüge.
    «Was arbeiten Sie?»
    Endlich konnte er mal die Wahrheit sagen, oder jedenfalls etwas, was dem sehr nahe kam: «Ich will mich hier zum Malen zurückziehen. Ich bin Künstler. Meine Spezialität ist es, Fotos mit Ölfarbe zu übermalen.»
    «Und davon kann man leben?», fragte sie ungläubig.
    «Drüben reißen sie sich um meine Bilder.»
    Was ein Traum wäre.
    «Soso.»
    Wieder Schweigen. Frau Olufs zog eine filterlose Zigarette aus einer dunkelroten Packung und zündete sie an.
    «Auch eine?»
    «Ja, danke.»
    Normalerweise rauchte er nicht, aber das würde jetzt vielleicht eine Brücke bauen. Die ältere Schwester nahm ebenfalls eine. Während sie schweigend vor sich hin qualmten, betrachtete Harald das einzige Bild an der Wand: das verblichene Farbporträt einer unbekannten Frau mit einem seltsamen Hut, an dem große rote Bommeln hingen. Darunter stand in weißer Schreibschrift: «Sonja Ziemann, Schwarzwaldmädel».
    Auch nachdem sie aufgeraucht hatten, wurde weiter geschwiegen. Keiner sah den anderen an. Ob das wohl ein Wettbewerb war? Wer die Stille am längsten aushielt?
    Er verlor.
    «Haben Sie schon mal vom Zeitalter des Wassermanns gehört?», erkundigte er sich, in der verzweifelten Hoffnung, damit die Stimmung etwas aufzulockern.
    Die Olufs schauten ihn stumm an.
    «Kommt das jetzt auch nach Föhr?», fragte die Jüngste mit irritiertem Blick.
    «Hier bleibt alles, wie es ist», schnarrte ihre Mutter und fügte hinzu: «Und das finden wir auch gut so, damit das gleich mal klar ist!»
    Klarer ging es ja nicht. Harald fiel nun auch nichts mehr ein.
    «Ich muss dann mal wieder», behauptete er und stand auf. Dabei musste er gar nichts, außer unter seiner Wolldecke im Wagen liegen und sich ärgern.
    «Tschüs», sagte Frau Olufs tonlos, ihre Töchter nickten stumm zum Abschied. Er ging hinaus, ohne dass ihn jemand zur Tür begleitete.
    Draußen erlitt er einen mittelschweren Schock.
    Er hatte in der düsteren Küche gar nicht mitbekommen, dass es aufgehört hatte zu regnen. Die Wolken waren verschwunden. Stattdessen schien die pralle Abendsonne von einem endlosen dunkelblauen Himmel herunter! Mit einem Mal war es ganz warm. Die Landschaft war nicht wiederzuerkennen: Hügel gab es zwar immer noch nicht, aber am Himmel und auf den Feldern explodierten sämtliche Blau- und Grüntöne, die er je gesehen hatte. Schwarz-weiß gefleckte Kühe dösten auf der Weide hinter seinem Haus satt und zufrieden vor sich hin, ein angenehmer leichter Seewind fuhr verträumt in die Gräser und spielte mit ihnen. Dazu zwitscherten fröhliche Vögel, deren Stimmen er noch nie gehört hatte. Wo war er hier gelandet?

[zur Inhaltsübersicht]
    Über Janne Mommsen
    Janne Mommsen, Jahrgang 1960, hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen ist er freier Autor und schreibt Romane, Drehbücher und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen. Passenderweise lebt die Familie seiner Frau seit Jahrhunderten auf der Insel Föhr.

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