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Oma 04 - Omas Erdbeerparadies

Oma 04 - Omas Erdbeerparadies

Titel: Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
Autoren: Janne Mommsen
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Vater hatte hier großformatige Fotos von der Insel Föhr aufgehängt, auf der er aufgewachsen war: das Wattenmeer mit dem Leuchtturm von Olhörn, der Sandwall mit der Kurmuschel und der Fähranleger bei Sturmflut. Auf einigen Bildern waren ihre Verwandten von der Insel zu sehen: Oma Imke, die im Rollstuhl den Hals reckte wie eine stolze Königin auf ihrem Thron, und Jades ewig braungebrannter Onkel Arne. Dazu kamen noch Aufnahmen von den Grabsteinen ihrer friesischen Vorfahren auf dem Friedhof von St. Laurentii in Süderende, die sich bis zu den Walfängern zurückverfolgen ließen. Einen Moment lang blieb sie vor den Grabbildern stehen – als könnten die Ahnen eine geheimnisvolle Kraft auf sie übertragen.
    Schon am Vorabend hatte sie alles für ein Power-Frühstück vorbereitet: Kiwis, Schrotmüsli und Bio-Joghurt. Für das, was sie vorhatte, brauchte sie eine optimale energetische Grundlage. Ihr Vater würde um diese Zeit längst im Büro sein, er war extremer Frühaufsteher. Wie immer würde sie also allein frühstücken, wogegen sie nichts einzuwenden hatte. So konnte sie in Ruhe noch einmal ihren Plan im Kopf durchgehen.
    Doch als sie die Küche betrat, erlitt sie einen mittelschweren Schock: Ihr Vater saß barfuß im weißen Frotteebademantel am Tisch und grinste sie breit an. Seine Stirn kam ihr höher vor als sonst und die Schläfen grauer. Er sah übernächtigt aus, die Schatten um seine Augen erinnerten an einen Pandabären – obwohl seine lange Nase und das spitze Kinn eher zu einem Vogel passten.
    Doch das war nicht das Schlimmste. Ihr Vater war nicht allein. Neben ihm saß eine kichernde thailändische Frau, die etwas jünger war als er und der die Situation etwas peinlich zu sein schien: ihre Mutter Narasinee, ebenfalls in weißem Frotteebademantel. Offensichtlich hatten die beiden die Nacht zusammen verbracht!
    «Moin, Jade», sagte ihr Vater.
    «Hallo, Jade, meine Tochter», flötete ihre Mutter, deren schwarze Locken vollkommen durcheinander waren, einzelne Strähnen standen ihr senkrecht vom Kopf ab. Ihre dunklen Augen strahlten wie sonst nur im Kerzenlicht des Weihnachtsbaums.
    Eigentlich gehörte sie nicht hierher. Terrasse und Garten des väterlichen Hauses grenzten an eine hohe Betonwand, die an die Berliner Mauer erinnerte. Im anderen Deutschland lebte ihre Mutter Narasinee und dies seit bestimmt zwölf Jahren. Warum sich ihre Eltern nach ihrer Trennung nicht weiter voneinander entfernt hatten, war ihr immer unklar geblieben. Irgendwann hatte sie aufgehört, danach zu fragen. In ihrer Kindheit hatte sich ein ausgeklügeltes Netz von Ritualen gebildet, wann sie in welcher Haushälfte übernachtete oder aß. Das hatte sich so gut eingespielt, dass sie sich kaum als Scheidungskind fühlte.
    Und jetzt das.
    Wie betäubt setzte Jade sich an den gedeckten Tisch. Hätten ihre Eltern nicht wenigstens einen Tag warten können mit diesem Unsinn? Musste es gerade heute sein? Das war kein gutes Omen. Denn natürlich würde es keine zwei Wochen dauern, bis sie sich wieder trennen würden. Und bei wem würden sie dann ihr Leid abladen? – Bei ihrem einzigen Kind. Dieses Spiel hatten sie mehr als ein paar Dutzend Male gespielt, und es gab dabei nur eine Verliererin: sie!
    «Cord, wat skal det?», fragte sie ihren Vater genervt auf Friesisch. Papa, was soll das ? Ihr Vater hatte ihr Fering, das Föhrer Friesisch, schon als kleines Kind beigebracht, es war ihre Geheimsprache. Ihre Mutter hatte mehrere ernsthafte Versuche unternommen, es zu lernen, aber neben Thai, Englisch, Spanisch und Deutsch war es eine Sprache zu viel für sie gewesen. Sie fühlte sich immer ausgeschlossen, wenn Jade und Cord Fering miteinander redeten.
    «Wir werden wieder alle zusammen wohnen», erklärte Cord und nahm die Hand seiner Exfrau. «Ich werde die Wand zwischen den Häusern noch heute einreißen lassen.»
    Sie war entsetzt.
    «Das ist nicht euer Ernst!»
    Ihr Vater lächelte verliebt.
    «Ich habe keine Lust, jeden Abend zu fensterln», erklärte er.
    «Wo Liebe ist, gibt es immer einen Weg», sagte ihre Mutter fröhlich. Sie war in Thailand aufgewachsen, hatte in London Zahnmedizin studiert, war dann für ein Praktikum nach Deutschland gekommen und hatte hier Cord kennengelernt. Sprichwörter waren ihr Anker in der deutschen Sprache und Kultur geworden, sie kannte mehr davon als jeder Einheimische. Ganze Nachmittage konnte sie sich von Sprichwort zu Sprichwort hangeln, was sie stets mit einem freundlichen Lächeln
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