Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oma 04 - Omas Erdbeerparadies

Oma 04 - Omas Erdbeerparadies

Titel: Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
Autoren: Janne Mommsen
Vom Netzwerk:
abzulesen, was sie sagen wollte: «Hör auf, an deinen Sachen herumzufummeln, das bringt sowieso nichts. Lauf endlich los!»
    Er schob den Rollstuhl über die Ocke-Nerong-Straße und joggte mit ihr an der alten Schmiede mit dem Eisenschild «Min Eilun» vorbei. Obwohl seine Mutter kaum fünfzig Kilo wog, kam er ganz schön ins Keuchen.
    Eigentlich wohnte Imke in einer WG hinterm Dunsumer Deich, aber ihre Mitbewohner Christa und Ocke waren für vier Monate auf Hochzeitsreise nach Grönland gefahren. Arne hatte nicht eine Sekunde gezögert, sie bei sich aufzunehmen. Das Einzige, wovor er etwas Scheu gehabt hatte, war, sie zu duschen. Netterweise hatte sie ihm vorher einen kleinen Brief geschrieben: «Du hast in deinem Leben viel zu viele Mädchen nackicht gesehen, mein lieber Sohn, das weiß ich. Eine mehr macht da auch nichts, oder?» Das hatte jede Peinlichkeit genommen.
    Als sie auf die schnurgerade Teerstraße Richtung Seedeich einbogen, riss seine Mutter übermütig die Arme hoch. Er musste laut lachen. Sein Blick wanderte über die weite, flache Marsch, deren sattes Grün bis zum Horizont ragte. Die Gräser auf den Weiden standen reglos in der Sonne. Allein das elegante Schilf in den Wassergräben ließ an einem windstillen Tag wie diesem hin und wieder ein Rascheln vernehmen. Das Meer lag unsichtbar hinter dem Deich, aber er konnte es förmlich riechen. Er spürte immer, ob Ebbe oder Flut, ob die See aufgewühlt oder ruhig war, auch wenn er das Wasser gar nicht sah.
    Nach ein paar Minuten erreichten sie den Deich. Er öffnete ein angerostetes Metallgatter und schob seine Mutter über das unebene Gras den Hang hinauf, was ihn die letzte Kraft kostete. Auf der Deichkrone nahm Imke die Hand ihres Sohnes, der hinter ihr stand und vor Anstrengung keuchte. Vor ihnen lagen mehrere farbige Querstreifen, die sattgrüne Marsch, das sandfarbene Watt und das tiefblaue Wasser. Die Nordsee breitete sich vor ihnen aus wie ein großer, silbrig-blauer Teich, der bis ins nahegelegene Dänemark reichte. Unter der Sonne flimmerten Millionen Lichtpunkte auf der Wasseroberfläche. Imkes Augen sahen so wach und konzentriert aus, als würde sie gerade im Kino einen hochspannenden Film sehen. Sie hatte ihr gesamtes Leben hier auf Föhr verbracht und unzählige Tage am Meer erlebt, trotzdem war sie bei einem solchen Anblick immer noch ergriffen, das wusste Arne. Jetzt hielt sie ihren Schreibblock hoch und zeigte einen breit lächelnden Smiley. Er nickte und setzte mit ihrem Stift ein Ausrufezeichen dahinter. Von diesem Anblick bekam auch er nie genug.
    Er fischte die Sonnencreme aus dem Netz hinter dem Rollstuhlsitz hervor, und seine Mutter streckte ihm mit geschlossenen Augen ihr braun gebranntes Gesicht entgehen. Eigentlich lehnte sie Sonnencreme strikt ab, weil diese ja verhinderte, dass sie noch brauner wurde. Sie war in ihrem Leben häufiger ins Sonnenstudio als zum Arzt gegangen und besaß eine tiefe Grundbräune. Trotzdem bestand er darauf, sie einzucremen.
    Vorsichtig verteilte er die Creme auf ihrer Nase und Stirn. Ihre Falten, die wie scharfe Kerben aussahen, gaben unter seinen Fingerkuppen nach. Er massierte leicht ihren Nacken, was sie sichtlich genoss. Als Dankeschön bekam er einen spitzen Kuss auf die Wange, dann winkte Imke ihm zum Abschied lächelnd zu. Er legte ihr eine Trinkflasche in den Schoß und lief immer auf der Deichkrone entlang, direkt auf den riesigen, blauen Himmel zu, der weder Anfang noch Ende besaß. Obwohl er nicht schneller als sonst trabte, bekam er Seitenstiche. Das war ihm noch nie passiert, es tat richtig weh, jeder Schritt war eine Strafe. Er drosselte das Tempo und musste schließlich langsam gehen, aber die rechte Seite hörte nicht auf zu schmerzen.
    Als er schon ein ganzes Stück von seiner Mutter entfernt war, entdeckte er vor sich auf der Deichkrone einen glatzköpfigen pummeligen Mann mit einer Flasche Bier in der Hand. Morgens um halb acht verursachte Arne allein der Anblick von Alkohol Übelkeit. Mit seiner schlabbrigen grauen Hose und der hellblauen Strickjacke über dem nackten Oberkörper sah der Mann kränklich aus, seine Haut war kalkweiß. Immerhin war er glattrasiert, die fettigen Haare waren streng zur Seite gescheitelt.
    «Moin», murmelte Arne im Vorbeigehen und versuchte trotz der Seitenstiche sportlich zu wirken.
    Hinter sich hörte er anstatt eines Grußes eine überraschende Bemerkung: «Wenn das nicht der stinkige Arne ist!»
    Er blieb stehen und drehte sich um. Die müden,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher