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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest
Autoren: Scholder Christoph
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schnellte hoch. Er fand sich einem Mann gegenüber, der aus mehreren oberflächlichen Wunden im Gesicht blutete.
    Wind werden.
    Er erkannte das Gesicht des Mannes. Der Polizist vor dem Benediktiner-Zelt. Der Mann mit dem Decknamen »Drache«, vor dem ihn Oberst Klarow gewarnt hatte. Er sah dem Mann in die seltsam flackernden Augen.
    Sturm werden.
    *
    Kaliningradskaja Oblast, 1974
    Er steht allein in sternloser Nacht.
    Die Gefechtsübung dauert bereits vier Tage. Fähnrich Kolja Blochin hat während dieser vier Tage so gut wie nicht geschlafen. Er ist vollkommen erschöpft. Immer wieder sieht er Leuchtkugeln am nächtlichen Himmel. Sicherlich ein anderer Teil dieses großen Manövers. Sein Feldanzug ist klamm. Er friert erbärmlich und hat Hunger. Er darf auf keinen Fall einschlafen.
    Er ist einem Trupp zugeteilt, der den Auftrag hat, die Gleise auf einer Eisenbahnbrücke zu sprengen. Natürlich werden die Gleise nicht wirklich gesprengt. Die Semtex-Päckchen sind nur Attrappen. Es ist nur eine Übung.
    Er steht allein in sternloser Nacht.
    Kolja Blochin hat die Gleiswache übernommen. Er muss seine Kameraden warnen, sollte ein Zug kommen. Deshalb ist er nicht bei den anderen auf der Brücke. Er konzentriert sich auf Melodien in seinem Kopf, um wach zu bleiben. Die Ouvertüre der Zauberflöte . Er darf auf keinen Fall einschlafen. Bald kann er die Musik in seinem Kopf nicht mehr hören.
    Er versucht, sich auf Gedichte zu konzentrieren. Was haben sie letzte Woche im Unterricht bei Professor Stern gelesen? Die Todesfuge von Paul Celan. Ein Gedicht, das ihn tief berührt hat. Im Stillen beginnt er, das Gedicht zu rezitieren.
    Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends/wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts/wir trinken und trinken/wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng/Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt …
    Er wacht auf. Um ihn ist das Donnern eines herannahenden Zuges. Kolja Blochin ist desorientiert. Wo ist er? Was ist das für ein Lärm? Dann fällt es ihm wieder ein. Die Kameraden auf der Brücke. Der Zug rast an ihm vorbei.
    Es ist zu spät.
    Er hört ihre Schreie. Schreie, die lauter sind als das Rumpeln der Räder. Er flieht. Kopflos. Nur weg von den Schreien. Bald erreicht er einen Wald. Der Boden ist durchnässt. Er hört, dass sie ihn bereits verfolgen. Er hört die Hunde bellen. Er hört das Rufen und Pfeifen der Hundeführer.
    Er steht allein in sternloser Nacht.
    Das Geräusch genagelter Sohlen. Von woher kommen sie?
    Da ist nur Angst, nur Angst.
    Zwielicht bricht sich Bahn durch das dichte Blätterdach des Waldes.
    Er wird verfolgt. Es regnet. Seine Lungen rasseln vor Anstrengung.
    Der Hang ist nass und von glitschigem Laub bedeckt. Er muss diese Böschung hoch, sich in Sicherheit bringen.
    Seine Füße rutschen ab.
    Immer wieder.
    Schweiß läuft ihm übers Gesicht. Hinter ihm sind die Hunde, er kann ihr wütendes Bellen hören. Sie kommen näher. Bald werden sie ihn einholen.
    Schließlich legt sich die Hand auf seine Schulter.
    Schwer, kräftig und furchteinflößend.
    Er versucht, sich zu befreien, aber die Hand hält ihn fest. Sein Bruder Oleg sieht ihn an. Mit diesen seltsam entfärbten Augen, Folge einer Stoffwechselerkrankung im Säuglingsalter.
    Augen wie heller Fels.
    Er sieht Feindschaft und Verachtung in diesen Augen glühen.
    Er hört die Stimme seines Bruders wie von ferne. »Ich habe das Schwein. Hierher! Hier ist der Deserteur!«
    *
    Härter riss die Glock aus dem Brustholster. Doch sein Gegner trat sie ihm mit einer schnellen Sichelbewegung des Beines aus der Hand. Die Waffe flog mehrere Meter weit, bevor sie im Sand landete. Die Geschwindigkeit der Beintechnik war enorm. Der Kapitän taumelte zurück. Dabei trat er in eine Vertiefung im Strand und stolperte. Er fiel nach hinten.
    In der Erdebene kämpft der Leopard. Bao Xing Quan.
    Sein Gegner kam ihm mit einem Sprung näher, das rechte Bein zu einem Tritt auf den Liegenden angewinkelt.
    Härters Hände wurden zu Klauen. Er bekam das Standbein seines Gegners an der Wade zu packen und riss an den Muskeln. Für einen Augenblick verlor der andere die Balance. Der Tritt ging ins Leere.
    Der Kapitän konzentrierte sich.
    Die Harmonien Liu He .
    Yi yu qi he. Konzentration lässt die Lebensenergie frei fließen.
    Qi fließt. Er atmet Energie. Der Atem dringt tief in sein Energiezentrum, etwas unterhalb des Bauchnabels. Qi fließt zu Dan Tian . Das Wissen um die eigene
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