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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest
Autoren: Scholder Christoph
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mich nicht in Ruhe? Warum brichst du in mein Leben ein?«
    »Ich breche nicht in dein Leben ein, Kolja. Ich stehle dir dein Leben. Ich werde in wenigen Tagen als unbescholtener Karl Romberg nach München zurückkehren. Tolle Geschichten werde ich von meiner Afrika-Reise zu erzählen haben …«
    »Woher weißt du …«, unterbrach ihn Romberg ungläubig.
    Blochin lachte ein kurzes, kicherndes Stakkato. »Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass du wirklich gewonnen hast? Du hast noch nie gewonnen. Du warst schon immer ein Verlierer. Es gab nur eine einzige Teilnahmekarte für dieses Preisausschreiben.« Wieder das Kichern. »Und du hast sie mir artig zurückgeschickt. Ich konnte sicher sein, dass du mitmachen würdest. Du warst schon immer leicht zu durchschauen, Kolja.« Oleg Blochin sah seinen Bruder an.
    Heller Fels.
    »Ab jetzt werde ich dein Leben weiterleben. Du hast dieses Leben nicht verdient. Du hast das Recht, zu leben, seit langem verloren.«
    »Warum kannst du die Dinge nicht auf sich beruhen lassen?« Rombergs Stimme klang verzweifelt. »Reicht es dir nicht, dass ich seit damals nicht mehr schlafen kann? Reicht es dir nicht, dass ich alles zurücklassen musste? Warum willst du mir alles wegnehmen?«
    »Du hast dir selbst alles weggenommen. Schon vor langer Zeit!« Blochin spuckte ihm die Worte voller Verachtung entgegen. »Du hast keine Ehre. Was heißt hier, du musstest alles zurücklassen? Deine Kameraden hast du verraten! Davongeschlichen hast du dich!«
    »Ich wurde freigesprochen.«
    »Freigesprochen, dass ich nicht lache!« Blochins Stimme kippte ins Höhnische. »Vater hat seinen Einfluss geltend gemacht. Er hat gegen seine eigenen eisernen Regeln verstoßen. Er hat die Schande danach nicht ertragen können und hat seinen Abschied genommen. Ich verstehe bis heute nicht, wieso er dich vor deiner gerechten Strafe bewahrt hat.«
    »Unsere Mutter und er waren der Meinung …«
    »Natürlich fängst du jetzt von Mutter an. Du hast ja auch ihren Geburtsnamen angenommen, als du dich aus dem Staub gemacht hast, du jämmerlicher Feigling. Bestimmt war sie es auch, die dir von diesem Haus hier erzählt hat. Warst ja immer ihr Lieblingskind. Sie hat Vater damals überredet, dir das Leben zu retten. Aber dein Leben war da schon verwirkt!«
    »Sie hat ihn nicht überredet. Mag sein, dass sie ihn gebeten hat, ja. Aber dass er es dann auch gemacht hat, war seine Entscheidung. Dass du das nicht verstehen kannst, überrascht mich nicht. Er hat aus Liebe gehandelt. Aus Liebe zu unserer Mutter und aus Liebe zu mir, seinem Sohn. Aber von Liebe weißt du nicht allzu viel.«
    »Liebe! Um den Finger gewickelt hat sie ihn. Vater konnte nicht mehr logisch denken, wenn es um seine Margarethe ging. Er war ein tapferer Mann, ein Mann von Ehre, ein Soldat mit Prinzipien. Glaubst du, er hätte sich für jemand anderen eingesetzt? Nein!« Blochin schüttelte den Kopf und lachte bitter. »Bei jedem anderen hätte er sich freiwillig gemeldet, um das Erschießungskommando zu befehligen. Ich bringe nur zu Ende, wozu er zu schwach war.« Mit einer blitzschnellen Bewegung drang er auf seinen Bruder ein, täuschte links einen Faustschlag an und trat ihm dann mit dem rechten Fuß seitlich gegen das Knie.
    Hätte Oleg Blochin Stiefel getragen, das Bein wäre gebrochen gewesen. Karl Romberg torkelte seitwärts. Der Schmerz ließ kleine weiße Lichter vor seinen Augen tanzen.
    Blochin sah sich um, bis sein Blick die Pistole auf dem Boden fand.
    »Aber es ist doch gar nicht wahr, dass ich das Lieblingskind unserer Mutter war. Sie hat keinen bevorzugt. Sie hat uns beide geliebt«, presste Romberg hervor.
    »Du hast ihr mit deiner Begeisterung für all das weibische Zeug viel mehr Aufmerksamkeit abverlangt. Klassische Musik! Oper! Sie war vernarrt in dich. Aber als Soldat, als es darauf ankam, hast du versagt. Mehr noch, du hast drei deiner Kameraden getötet. Und darauf steht der Tod.«
    »Ich habe sie nicht getötet, Oleg. Ich bin damals …«
    »Wir beide wissen, was du getan hast, Kolja. Du hast Verrat begangen. Du trägst die Schuld am Tod dieser Männer.« Blochin hatte die Pistole fast erreicht und bückte sich, um sie aufzuheben. Für einen Moment ließ er seinen Bruder aus den Augen.
    Romberg stürmte mit dem Mut der Verzweiflung nach vorne. Als er das linke Bein belastete, glaubte er, sein Knie würde explodieren. Unter Qualen warf er das rechte Bein nach vorne. Dann wieder das linke. Aber diesmal war die Belastung zu groß.
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