Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)

Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)

Titel: Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Mats Strandberg
Vom Netzwerk:
1. Kapitel
    S
onnenlicht strömt durch die hohen Fenster des Zimmers und offenbart jeden einzelnen Schmutzfleck auf der weißen Vliestapete. Auf dem Boden steht ein Ventilator und dreht sich langsam. Trotzdem ist es unerträglich heiß.
    »Wie war dein Sommer?«
    Psychologen-Jakob hat Shorts an und sitzt zurückgelehnt in seinem braunen Ledersessel.
    Linnéa kann es nicht lassen und streckt ihre Fühler nach seinen Gedanken aus. Sie nimmt ein Unbehagen wahr, weil seine Oberschenkel am Leder kleben, aber auch, dass er sich wirklich freut, sie wiederzusehen. Sie tritt sofort den Rückzug an. Und schämt sich ein bisschen.
    »Ganz okay«, beantwortet sie seine Frage und denkt: zum Kotzen.
    Sie heftet den Blick auf das eingerahmte Plakat hinter Jakob. Pastellfarbene geometrische Figuren. Linnéa kann sich kaum etwas Nichtssagenderes vorstellen und fragt sich, ob es einen tieferen Sinn hat, dass es hier hängt.
    »Ist etwas Besonderes passiert, über das du gerne reden möchtest?«, sagt Jakob.
    Definiere »Besonderes«, denkt Linnéa und fixiert ein blaues Dreieck, das über seinem rasierten Schädel schwebt.
    »Nicht direkt.«
    Jakob nickt und sagt nichts mehr. Seit Linnéa entdeckt hat, dass sie Gedanken lesen kann, fragt sie sich immer mal wieder, ob er über eine gemäßigte Variante ihrer Fähigkeit verfügt, ob er irgendwie sehen kann, was in ihrem Kopf vorgeht. Er weiß immer, wann er auf diese ganz spezielle Art schweigen muss, die sie veranlasst, weiterreden zu wollen. Meistens kann sie widerstehen, aber jetzt sprudeln die Wörter nur so aus ihr heraus.
    »Man könnte sagen, ich hatte Streit mit einer Freundin. Eigentlich mit mehreren.«
    Linnéa lässt den Flipflop von ihrem Fuß baumeln. Sie hasst Sandalen. Aber wenn es so verdammt heiß ist, kann man ja nichts anderes anziehen.
    »Was war los?«, fragt Jakob in neutralem Ton.
    »Ich hatte ein Geheimnis, in das ich die anderen hätte einweihen müssen, aber ich habe es für mich behalten. Und als ich es dann doch gesagt habe, waren sie sauer, weil ich ihnen nicht schon viel früher davon erzählt habe. Jetzt vertrauen sie mir nicht mehr.«
    »Willst du mir sagen, was für ein Geheimnis das war?«
    »Nein.«
    Jakob nickt nur. Was würde wohl aus seinem professionellen Tonfall werden, wenn sie ihm die Wahrheit sagen würde? Zuerst würde er ihr definitiv nicht glauben. Doch dann würde sie ihm gestehen, dass sie manchmal gegen ihren Willen seine Gedanken aufgeschnappt hatte, bevor sie ihre Fähigkeit besser kontrollieren konnte. Sie weiß, dass er seine Frau letzten Herbst mit einer Kollegin betrogen hat. Sein dunkelstes Geheimnis.
    Jakob würde Angst bekommen. Sich in ihrer Nähe nur noch unwohl fühlen. Genau wie die Auserwählten.
    Ein paar Tage nach der Schulabschlussfeier haben sie sich schließlich gegenseitig ihre Geheimnisse verraten. Minoo erzählte die ganze Wahrheit über jene Nacht im Speisesaal, über den schwarzen Rauch, den kein anderer sehen konnte und der sowohl von ihr ausströmte als auch von Max, dem Gesegneten der Dämonen. Anna-Karin beichtete, dass sie das ganze Winterhalbjahr hindurch ihre Mutter verhext hatte, und gab zu, wie weit sie mit Jari gegangen war. Schwerwiegende Geheimnisse, aber nichts im Vergleich zu dem, was Linnéa gestehen musste: dass sie ihre Gedanken lesen konnte. Und dass sie es fast ein Jahr lang getan hatte. Ohne etwas zu sagen.
    Seitdem war nichts mehr wie vorher. Den Sommer über haben sie sich regelmäßig getroffen, um ihre magischen Fähigkeiten zu trainieren. Doch jedes Mal merkte Linnéa, wie die anderen ihrem Blick auswichen. Während der gesamten Ferien hat Vanessa kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Wenn Linnéa daran denkt, ist es, als würde ihr jemand einen geschliffen scharfen Pürierstab geradewegs durch den Brustkorb jagen und ihr damit das Herz zerfetzen.
    »Wie hast du reagiert, als die anderen sauer auf dich wurden?«, fragt Jakob.
    »Ich habe versucht, mich zu verteidigen. Aber ich konnte sie ja verstehen. Ich meine … an ihrer Stelle wäre ich ausgeflippt.«
    »Warum hast du ihnen nicht früher von deinem Geheimnis erzählt?«
    »Weil ich wusste, dass sie durchdrehen würden.«
    Da ist es wieder, das Psychologen-Schweigen. Linnéa heftet den Blick auf ihre Füße. Ihre Zehennägel sind schwarz lackiert.
    »Und außerdem war es irgendwie schön«, fährt sie fort.
    »Was war schön?«
    »Ihnen überlegen zu sein.«
    »Manchmal ist es anstrengend, andere in sein Leben zu lassen. Zu erlauben, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher