Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest
Autoren: Scholder Christoph
Vom Netzwerk:
den Taschen seiner Jacke verschwanden.
    Der Besucher hielt inne.
    In der Wohnung war es jetzt völlig still. Eine ganz besondere Art der Stille. Er lauschte seinem eigenen ruhigen Atem. Er kannte diese Art der Stille.
    Der Klang des Todes selbst.
    Dann verließ der Besucher die Wohnung.
    Beim Durchqueren des Flurs warf er einen Blick in die Küche. Die Leiche des alten Mannes lag in einer größer werdenden Lache von Blut, dessen schwärzliche Farbe die bereits einsetzende Gerinnung erkennen ließ.
    »Wer hätte gedacht«, murmelte der Besucher mit gespieltem Erstaunen, »dass der alte Mann noch so viel Blut in sich hat?«

1
    S eit Karl Romberg vor dreißig Jahren nach München gekommen war, hatte es das Leben im Großen und Ganzen gut mit ihm gemeint. Das musste er zugeben.
    Als gelernter Automechaniker hatte er damals in einer kleinen Werkstatt im Stadtteil Pasing eine Anstellung bekommen. Der Meister, dem die Werkstatt gehörte, mochte den jungen Mann. Karl Romberg war fleißig und zuverlässig, und er zeigte sich geschickt im Umgang mit den Kunden.
    Nachdem Karl seine Meisterprüfung abgelegt hatte, bot sein Chef ihm an, die Werkstatt zu übernehmen. Da der Betrieb gut lief, gewährte eine Bank ihm Kredit. Sein Chef zog sich aufs Altenteil zurück. Romberg spezialisierte sich zunächst auf die Reparatur ausgefallener Wagen. Überwiegend Oldtimer. Aber auch neuere und neueste Karossen. Allesamt sehr teuer.
    Dementsprechende Kundschaft.
    Anspruchsvoll.
    Und Romberg zeigte sich den Ansprüchen gewachsen. Die Qualität seiner Arbeit sprach sich schnell bei den wohlhabenden Münchnern herum. Bald schon stellte er neue Mechaniker ein und baute ein weiteres Werkstattgebäude.
    Wie stolz er war.
    Er schuf etwas Neues.
    Mit seinen eigenen Händen.
    Romberg lebte zurückgezogen. Bis auf die freitägliche Skatrunde mit seinen beiden Vorarbeitern nahm er kaum am gesellschaftlichen Leben teil. Mit einer Ausnahme: Es machte ihm große Freude, die Bayerische Staatsoper in der Maximilianstraße zu besuchen. Oder auch die Konzerte in der modernen Philharmonie. Die Liebe zur klassischen Musik hatte er von seiner Mutter geerbt. Aber da er der Meinung war, diese Leidenschaft passe nicht zu einem Automechaniker, sprach er niemals darüber.
    Seine Einsamkeit war selbst gewählt.
    Das hing mit dem Traum zusammen, der ihn nachts oft heimsuchte. Mit seinem Gefährten, wie er ihn nannte.
    Die Dunkelheit der Nacht drang dann in seine Seele ein.
    Der Gefährte schuf nichts.
    Er zerstörte nur.
    Viele Jahre war er allein zu Konzerten gegangen, bis er an einem dieser Abende Judith kennenlernte, bei einer Aufführung von Mozarts Don Giovanni . Judith war zehn Jahre jünger, von Beruf Kindergärtnerin. Sie war in der Pause gegen ihn geschubst worden. Und aus ihrer schüchternen Entschuldigung entspann sich ein Gespräch. Sie redeten über die Inszenierung und Mozarts musikalische Sicht auf den steinernen Gast. Romberg verfluchte still das Klingeln der Pausenglocke. Da schlug Judith ihm vor, nach der Oper gemeinsam ein Glas Wein zu trinken.
    Er spürte seinen Herzschlag noch immer im Halse, wenn er daran dachte.
    Sie waren durch eine laue Münchner Sommernacht von der Oper zu einer Weinstube am Odeonsplatz spaziert. Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine zarte Beziehung. An manchem Abend spürte er nach wie vor den Geschmack des weißen Burgunders auf der Zunge, von dem er an diesem Abend vor lauter Aufregung viel zu viel getrunken hatte.
    Judiths Liebe verlieh ihm Flügel.
    Im Jahr 1987 gründete er eine weitere Firma, die Kleintransporter vermietete. Vor allem an den Wochenenden waren solche Wagen in München sehr gefragt. Umzüge und private Transportfahrten waren der Grund. Seine Mechaniker warteten die Transporter mit der gleichen Sorgfalt, mit der sie die Autos der Kunden reparierten.
    Nach zehn Jahren hatte Judith ihn verlassen.
    Ein Sozialpädagoge, spezialisiert auf Erlebnispädagogik, war für sie interessanter gewesen.
    Beim Anblick der beiden Verlobungsringe, mit denen er sie beim nächsten Konzertbesuch hatte überraschen wollen, hatte er Tränen der Trauer und Verzweiflung geweint. Er verbannte die Ringe in die hinterste Ecke des Tresors, in dem er wichtige Firmenunterlagen und seine eiserne Bargeldreserve aufbewahrte.
    Zunächst hatte er Wodka getrunken.
    Sehr viel Wodka.
    Zu viel.
    Fast wäre er daran zerbrochen. Allein die Erinnerung daran tat weh. Und obwohl das Ende dieser Beziehung nun schon viele Jahre zurücklag, zog
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher