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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest
Autoren: Scholder Christoph
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der Trennungsschmerz gelegentlich in seinen Eingeweiden und ließ ihn in eine tiefe Traurigkeit verfallen.
    Nie wieder hatte er jemanden wie Judith gefunden.
    Noch nicht einmal annähernd.
    Die Erinnerung an den Verlust zog wie ein schneller Schatten über Rombergs markantes Gesicht.
    Er hatte sich gefangen.
    War wieder aufgestanden.
    Machte weiter.
    Gerade seine wohlhabenden Kunden fragten mit der Zeit immer häufiger, ob er nicht zusätzlich zu den Leihwagen auch einen Fahrer und einige Packer vermitteln könnte. So kam es, dass Karl Romberg Anfang der neunziger Jahre eine kleine Spedition gründete. Diese verfügte zunächst über nur einen Möbelwagen samt Besatzung.
    Dann trat Werner Vogel in sein Leben.
    Er erinnerte sich genau.
    *
    Es war ein kalter, regnerischer Herbsttag des Jahres 1996. Der Wind trieb das Laub vor sich her. Die Luft roch nach kollektiver Erkältung. Der Vormittag war ruhig. Karl Romberg saß nach einem Inspektionsgang durch seine Werkstätten im Büro und ärgerte sich mit dem Papierkram herum, den er so sehr hasste. Es klopfte.
    »Herein!«
    »Grüß Gott!« Eine angenehme Stimme, der junge Mann in der Tür machte sofort einen guten Eindruck auf ihn.
    »Grüß Gott, was kann ich für Sie tun?«
    »Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Mein Name ist Werner Vogel. Lassen Sie uns das Kind gleich beim Namen nennen: Ich bin auf der Suche nach einer Stelle und dachte mir, ich bringe meine Bewerbungsunterlagen selbst vorbei. Ich weiß, das mag etwas ungewöhnlich scheinen.« Vogel senkte verlegen den Blick.
    »Es tut mir leid, ich stelle keine Mechaniker mehr ein. Nach einem Möbelpacker sehen Sie der Statur nach nicht aus. Auch meine Lehrstellen sind alle besetzt«, entgegnete Romberg.
    »Oh, das meinte ich nicht.« Vogel räusperte sich. »Ich bin gelernter Bankkaufmann. Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht jemanden für die Buchhaltung brauchen könnten. Außerdem habe ich in der Privatkundenabteilung der Bank gearbeitet, Kreditvergabe. Ich kann gut mit Menschen umgehen, haben meine Vorgesetzten gesagt. Ich könnte also auch hier im Büro die Kunden bedienen und eventuell in der Akquisition bezüglich neuer Kunden tätig sein.«
    Romberg sah ihn misstrauisch an. »Warum sind Sie auf Arbeitssuche, wenn Sie solche Qualifikationen haben? Sind Sie mit der Kasse durchgebrannt?«
    »Nein, das nun wirklich nicht.« Vogel machte ein beleidigtes Gesicht. »Die Banken schließen Filialen in großem Stil. Das Schaltergeschäft wird von Geldautomaten übernommen. Kundenbetreuer werden auf Verkaufslehrgänge geschickt und zu besseren Versicherungsdrückern umgeschult. Das Geld verdienen die Banken jetzt im Investmentbereich. Die großen Banken überlegen sich, das Privatkundengeschäft ganz aufzugeben. Nur noch große Vermögen zu verwalten und Geschäftskunden zu betreuen, das ist nicht mehr meine Welt.«
    Romberg sah den jungen Mann einige Zeit nachdenklich an. Zwischen Rombergs Kinn und den hohen Wangenknochen verliefen zwei schnurgerade Falten. Die leicht zusammengekniffenen Augen verliehen seinem Blick etwas Stechendes.
    »Was ist eigentlich dieses ominöse Investmentgeschäft? Ich lese immer davon, aber keiner dieser Artikel hat mir bisher erklären können, worum es dabei eigentlich geht. Wenn Sie vom Fach sind, erklären Sie mir das doch mal.«
    Und Vogel erklärte es ihm. Erzählte davon, dass die Banken Geldsammelbecken einrichten, die sie Fonds nennen. Dass die Anteile der Fonds wiederum an der Börse verkauft würden und das Geld dadurch jeden Bezug zu wirklichen Werten verlöre. Dass diese Fondsanteile im Grunde nichts anderes seien als Wettscheine für Hunderennen, nur eben ohne rennende Hunde. Dass die Bank bei jedem dieser Geschäfte einen bestimmten Prozentsatz für sich behält.
    »Die Bank gewinnt immer«, schloss Vogel seine Ausführungen.
    Der kurze Vortrag beeindruckte Romberg. Er ließ sich die Bewerbungsunterlagen aushändigen. Noch am selben Nachmittag rechnete er aus, dass er sich einen weiteren Angestellten leisten könnte. Zumal einen so jungen, der am Anfang noch wenig Geld verlangte. Zwei Tage später rief er Vogel an.
    Der nahm das Angebot sofort an.
    Dass diese Entscheidung sein Leben und seine Firma stark verändern würde, ahnte Romberg nicht. Vogel war fünfundzwanzig Jahre alt, als er 1996 bei ihm anfing. Einundzwanzig Jahre jünger als Romberg selbst.
    Heute war er sehr froh über seine damalige Entscheidung.
    Werner Vogel war ein Mann mit vielen Ideen, einem guten Sinn
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