Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest
Autoren: Scholder Christoph
Vom Netzwerk:
einer längst vergangenen Epoche. Gedichte! Der kategorische Imperativ! Einfach lachhaft!« Blochin ließ einige meckernde Laute hören. »Er war der Erste, der dran glauben musste. Er wäre der Einzige gewesen, der noch von uns beiden gewusst hätte. Vater hat dich damals sehr kunstvoll aus den Akten des deutschen Spätaussiedlerprogramms verschwinden lassen.«
    »Der dran glauben musste? Wie meinst du das?«, fragte Romberg fassungslos.
    »Der alte Mann hat meinen Plan gefährdet. Seine Zeit war ohnehin lange vorbei.« Als Karl Romberg das hörte, brannten bei ihm die letzten Sicherungen durch. Er hatte den alten Professor Stern immer sehr gemocht. Mehr noch, er hatte ihn bewundert.
    Oleg Blochin sah zur Seite. Romberg folgte dem Blick seines Bruders zu der Waffe, die vor der Terrassentür auf dem Boden lag. Blochin stürzte los.
    Karl Romberg folgte ihm. Jeder Schritt ließ den Schmerz in seinem Knie lodern.
    Blochin erreichte die Waffe.
    Romberg stieß sich mit dem gesunden Bein ab. Mit einem Hechtsprung stürzte er sich auf seinen Zwilling. Sie prallten zusammen. Ihr gemeinsames Gewicht ließ das Glas der Terrassentür zerbrechen. Sie rollten auf die Terrasse. Die plötzliche Helligkeit ließ sie blinzeln.
    Die Welt erschien wie ein überbelichteter Film.
    Als Romberg wieder etwas erkennen konnte, sah er aus seinem linken Oberarm einen großen Glassplitter ragen.
    Oleg Blochin versuchte, sich am Geländer hochzuziehen. Das Glas hatte seine Wange aufgeschnitten. Die rechte Hälfte seines Gesichtes war blutüberströmt.
    Beide sahen sich um. Wo war die Waffe? Romberg kam wieder auf die Beine und ging auf seinen Bruder zu. Seine rechte Hand war zur Faust geballt.
    Plötzlich drückte Blochin sich mit dem linken Arm auf dem Geländer in die Höhe. Sein rechtes Bein vollführte einen weiteren Tritt gegen Rombergs Kopf. Aber Karl Romberg hatte genug Tritte bekommen. Er wich dem Fuß aus.
    Dann sah er wie in Zeitlupe, dass sein Bruder das Gleichgewicht verlor. Der Schwung des hohen Tritts hatte ihn zu weit nach hinten kippen lassen.
    Sein rechter Arm ruderte durch die Luft. Vergeblich. Oleg Blochin stürzte rücklings über das Geländer.
    Mit zwei Schritten war Romberg an der Brüstung.
    Sein Gefährte fiel.
    Er fiel dreißig Meter tief.
    Noch einmal drehte er sich in der Luft. Dann verschlang ihn die kochende Brandung am Fuß der Klippe.
    *
    Wolfgang Härter befand sich in der Kabine von Broder Thomsen. Der Kommandant der »Bayern« hatte seinen knappen Bericht angehört. Jetzt saßen die beiden Offiziere einander gegenüber und schwiegen. Was gab es auch zu sagen angesichts eines gefallenen Kameraden?
    Schließlich brach Thomsen das Schweigen. »Ich habe mit Aeskulap gesprochen. MOF hat einen Durchschuss. Er wird sich aber schnell wieder erholen. Was den anderen betrifft, diesen …«
    »Werner Vogel.«
    »Richtig, diesen Vogel. Aeskulap hat gesagt, sie hat getan, was ärztliche Kunst vermag. Es steht noch auf der Kippe. Wahrscheinlich stirbt er. Er hat eine Menge Blut verloren.« Thomsen räusperte sich. »Der Geisel hat sie eine Beruhigungsspritze gegeben. Frau Karman schläft.«
    Härter nickte. »Sie hat sich erstaunlich gut gehalten, wenn man bedenkt, was sie in den letzten Tagen durchgemacht hat.« Wieder verfielen die beiden Männer in Schweigen.
    Schließlich erhob sich Thomsen und holte eine Flasche und zwei Gläser, die er auf den Tisch stellte. »Dänischer Aquavit. Der beste, den ich habe. Einer der besten der Welt. Das sind wir dem jungen Bootsmann schuldig.« Er goss beide Gläser drei Finger hoch ein. Sie stießen wortlos an und tranken.
    Thomsen kannte Härter gut. Nach seiner eigenen Einschätzung war er vermutlich einer der ganz wenigen, die der Kapitän jemals hatte in sein Herz sehen lassen. Thomsen kannte die Verwüstungen, die dort herrschten. Und er wusste um die Ausweglosigkeit der Situation. Er wusste, was Wolfgang Härter quälte: der lebenslange Gram einer unerfüllten Liebe.
    Thomsen zog einen Koffer unter seiner Bank hervor und begann, sein Saxophon zusammenzusetzen. Mit Bewegungen, die an ein Ritual erinnerten, montierte er das Instrument.
    Ein Selmer Mark VI mit fünfstelliger Seriennummer.
    Ein Juwel.
    Während Thomsen das Mundstück aufsteckte, goss Härter die zweiten drei Finger ein.
    »Auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung!«, sagte er, Bitterkeit in der Stimme.
    Thomsen nickte mit gequältem Gesichtsausdruck.
    Der zweite Aquavit verschwand.
    Dann hob Thomsen sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher