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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
Autoren: Amelie Fried
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auf die Nerven gehen können.
    Seit zwölf Jahren gibt es bei uns jeden Morgen Earl-Grey-Tee mit Milch und dazu Müsli. Ebenso lange knüllt mein Mann sein Handtuch nach dem Duschen auf einen Stuhl, statt es aufzuhängen. Seit sechs Jahren legt meine Tochter nach dem Frisieren ihre haarige Bürste auf den Frühstückstisch, obwohl ich’s ihr schon tausendmal verboten habe. Seit neun Jahren ermahne ich jeden Morgen meinen Sohn: »Verlier deine Mütze (wahlweise: Sporttasche, Jacke, Geldbeutel) nicht!« Bei jeder Mahlzeit bitte ich um die Verwendung von Servietten. Es geht allen auf den Wecker (besonders mir), aber wehe, ich sage mal nichts. Dann heißt es: »Du musst uns an die Servietten erinnern!«
    Bei jedem Abschied ein Kuss, ein Nachblicken, ein letztes Winken. Und an den Partner die immer gleiche Ermahnung: »Fahr vorsichtig!« Als könnte man damit die Gefahren bannen, die draußen in der Welt auf die geliebten Menschen lauern. Rituale sind auch der Versuch einer Beschwörung. Die sich wiederholenden Formeln sind wie Zaubersprüche gegen das Böse, die wiederkehrenden Handlungen sollen das Unvorhergesehene bannen, das in unser Leben eindringen und es gefährden könnte.
    Obwohl es mich manchmal wahnsinnig macht, bin ich doch jedes Mal froh, wenn ich sehe, wie mein Mann mit dem linken Bein zuerst in die Hose fährt, denn das gibt mir die Gewissheit, dass er es auch morgen tun wird, und übermorgen, und überübermorgen …

Alles nur Chemie!
    Da glauben wir Menschen, wir hätten einen freien Willen und seien zu tiefen Gefühlen fähig, und was ist: alles Quatsch. In Wirklichkeit machen wir nur, was uns die Hormone und Botenstoffe in unserem Körper befehlen; Östrogen, Testosteron, Serotonin und Oxytocin bestimmen, was wir tun und wie wir uns dabei fühlen.
    Wie sonst wäre zu erklären, dass intelligente Frauen gelegentlich neben Typen aufwachen, die sie normalerweise keines Blickes würdigen – nur weil sie gerade ihren Eisprung haben und ihre östrogentrunkenen Zellen: »Befruchten!« schreien. Schon ein paar Tage später hätte der muskelgestählte Typ mit breiten Schultern und schmalen Hüften keine Chance mehr, weil Frauen in der zweiten Zyklushälfte ganz andere Männer toll finden. Solche nämlich, mit denen man gemütlich kuscheln und reden kann, und die so aussehen, als würden sie später dem Nachwuchs auch mal die Windeln wechseln.
    Und wenn wir uns verliebt haben, geht’s erst richtig los. Ein Cocktail aus dem Liebesmolekül Oxytocin, dem Rauschmittel Dopamin und jeder Menge Wohlfühl-Endorphinen überschwemmt unsere Blutbahn und macht uns zu Idioten mit Herzchen in den Augen und blödem Lächeln im Gesicht. Wir brauchen nichts zu essen, kaum Schlaf, unser Immunsystem arbeitet auf Hochtouren.
    Der Serotoninwert von Verliebten liegt bis zu vierzig Prozent unter dem Normalwert, und damit nur noch so hoch wie bei verhaltensgestörten Personen; und als solche kann man Verliebte – streng wissenschaftlich gesehen – durchaus bezeichnen. Der Mangel an Serotonin senkt die Hemmschwellen, die uns normalerweise davon abhalten, jemandem mitten in der Nacht hundert Rosen vorbeizubringen oder sein Auto mit bunten Bändern zu umwickeln, auf denen eine Million Mal »I love you« steht. Im Liebesrausch aber tun wir Dinge, für die wir uns bei normalem Serotoninspiegel schämen würden.
    Auch das Geheimnis der sexuellen Anziehung ist nicht halb so unerklärlich, wie wir glauben. Es genügt, dass ein Kerl sich ein paar Sexuallockstoffe auf den Pullover sprüht, schon neigen Frauen dazu, ihn für attraktiv zu halten. Sprüht man die gleichen Lockstoffe auf einen Stuhl im Wartezimmer einer Arztpraxis, stürzen sich die Frauen auf ihn, als sei er George Clooney.
    Hat ein Mann uns zum sexuellen Höhepunkt gebracht, glauben wir gerne, wir seien in ihn verliebt. In Wahrheit ist es nur wieder das beim Orgasmus ausgeschüttete Oxytocin, das uns das Hirn vernebelt. Lässt seine Wirkung nach, müssen wir leider oft erkennen, dass wir doch keinen Mann lieben können, der karierte Anzüge trägt oder nach dem Essen in den Zähnen pult.
    Übrigens sind auch die Männer Sklaven ihrer Hormone. Schon ihre morgendliche Erektion ist nicht etwa Indiz für ihre tolle Potenz, sondern nur für einen hohen Testosteronspiegel. Von diesem Stoff hängt so ungefähr alles ab, was ihn zum Mann macht: ob er gut im Bett ist, erfolgreich im Beruf, leistungsfähig auf dem Sportplatz. Ob er sich selbstbewusst fühlt, bei Frauen ankommt, Lust
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