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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
Autoren: Amelie Fried
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desto drängender wurden Fragen wie: Werde ich in der Gosse landen, wenn bald alle ihr Studium abgeschlossen haben, nur ich nicht? Wo bleibt eigentlich mein Traumpartner? Wird es nicht langsam Zeit mit dem Kinderkriegen?
    Die Krise um dreißig empfinden viele Frauen als existenziell, immerhin entscheidet sich in dieser Phase fast alles, was in späteren Jahren von Bedeutung sein wird. Eine Zeit des Umbruchs. Der Freundeskreis fällt auseinander, einige machen Karriere, andere steigen aus, wieder andere gründen Familien – nur man selbst sitzt zwischen allen Stühlen und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Irgendwie ist es aber auch eine gute Zeit. Man jammert zwar viel, aber insgeheim ahnt man zumindest, dass noch alles drin ist.
    Nicht so mit vierzig. Da wird es eng. Wer’s beruflich noch nicht geschafft hat, wird sich zunehmend schwer tun. Die Kinderfrage drängt. Die Partnersuche nicht minder, man wird nicht jünger, die Konkurrenz dafür größer. Torschlusspanik kommt auf. Wer verheiratet ist und Kinder hat, fragt sich, ob’s das jetzt war, mit der Liebe, der Leidenschaft, dem Leben.
    Fast freut man sich auf den Fünfzigsten, da weiß man wenigstens, welchen verpassten Chancen man nicht mehr nachtrauern muss.
    Früher war also klar, wann welche Krise kommt, und wie sie sich anfühlt. Heute ist nichts mehr klar. Pubertierende waschen sich freiwillig und hören die gleiche Musik wie ihre Eltern. Zwanzigjährige waren schon mal Millionär und fangen gerade das zweite Mal von vorne an. Und die Dreißigjährigen? Die können sich den Luxus einer Krise gar nicht mehr leisten, weil sie froh sind, wenn sie überhaupt einen Job finden. Und wenn sie einen haben, fürchten sie so sehr, ihn zu verlieren, dass sie das Kinderkriegen erst mal verschieben. Die Krise ist in die Krise gekommen, und das ist ein echtes Alarmzeichen. Wenn man so mit Überleben beschäftigt ist, dass man sich nicht mal mehr fragen kann, welches Leben man eigentlich gern führen würde, kann etwas nicht stimmen. Krisen dienen der Orientierung, der Veränderung, der Reifung. Wer keine erlebt, kann sich nicht entwickeln. Die Dreißigjährigen sollten für ihr Recht auf Krise kämpfen, sonst enden sie als früh vergreiste Spätpubertierende. Mit fünfzig noch Eckes-Cola – das kann doch nun wirklich keiner wollen!

Ein bisschen Nervenkitzel, bitte!
    Offenbar ist das Leben ziemlich langweilig, wenn man nicht gerade zufällig in einem Erdbebengebiet wohnt, einen amoklaufenden Nachbarn hat oder seinen Lebensunterhalt mit Banküberfällen bestreitet. Wie sonst ist zu erklären, dass Menschen, die das Glück haben, in erdbebensicheren, deutschen Wohngebieten zu leben und ungefährlichen Berufen nachzugehen, sich in ihrer Freizeit freiwillig in Lebensgefahr begeben?
    Sie rasen auf Motorrädern enge, kurvige Straßen entlang, sie springen an Gummiseilen von Hochhäusern, sie fliegen an dubiosen Konstruktionen hängend von Bergen herunter oder lassen sich aus einem Flugzeug fallen. Sie fahren bis Australien, um endlich »die perfekte Welle« fürs Surfen zu erwischen, auch wenn die in einem Haigebiet rollt. Sie tauchen immer tiefer und tiefer, bis der Wasserdruck auch noch den letzten Rest an Verstand aus ihren Gehirnen gequetscht hat. Oder sie durchqueren die Wüste in einem Freizeitjeep, ohne Ortskenntnis, richtige Ausrüstung und genügend Proviant.
    Die Sehnsucht nach Grenzerfahrungen scheint groß zu sein in einer Gesellschaft, deren Bürger gegen alles und jedes, von Arbeitsunfähigkeit über Hagelschlag bis Zahnausfall, versichert sind. Immerzu verlangen sie nach mehr Sicherheit, und von ihren Politikern erwarten sie gegen sämtliche Unwägbarkeiten des Alltags durch immer komplexere Gesetze geschützt zu werden. Und wenn sie dann so gut beschützt und versichert sind, dass ihnen sterbenslangweilig geworden ist, ziehen sie los, um endlich mal was Aufregendes zu erleben. »Fun« sollen diese ganzen Dummheiten bringen, zu gut Deutsch »Spaß«.
    Also, ich persönlich verstehe unter Spaß etwas anderes. Ich bin jedes Mal froh, wenn das Flugzeug, in dem ich unglücklicherweise sitze, heil wieder gelandet ist. Oder wenn die Fähre, die leider die einzige Verbindung zu meiner Ferieninsel darstellt, sicher in den Hafen eingelaufen ist. Eigentlich bin ich schon froh, wenn ich morgens gesund aufwache und nicht über Nacht erblindet bin oder rätselhafte Lähmungserscheinungen habe. Da werde ich doch einen Teufel tun und das Schicksal herausfordern!
    Mein
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