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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
Autoren: Amelie Fried
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vorhanden.
    Als ich diesen Anfangsfrust endlich überwunden hatte, lauerten bereits die nächsten Demütigungen. Mütter sind nämlich grausam und lassen keine Gelegenheit aus, ihren Mitmüttern zu zeigen, dass sie die Besseren sind. Ernährung, Gesundheit, Sauberkeitserziehung – auf allen Feldern wird um die goldene Muttermedaille gekämpft, und das Gefühl, zu versagen, entwickelt sich zum Dauerbegleiter.
    Man schleppt sein Kind nicht mit dem Tragetuch herum – ganz sicher wird es ein schweres, seelisches Defizit davontragen. Man wickelt es nicht mit naturbelassenen Stoffwindeln – natürlich wird es Allergien kriegen, und außerdem handelt man umweltpolitisch verantwortungslos. Man gibt ihm keine frisch pürierten Bio-Karotten, sondern Gläschenkost – da muss einem schon klar sein, dass es, voll gepumpt mit Gift und Schadstoffen, vermutlich nicht mal das Grundschulalter erreichen wird. Man lässt sein Kind im Fernsehen die Verfolgungsjagden von »Tom und Jerry« ansehen – sicher wird es später mal Serienkiller.
    Und überhaupt: Egal, was man macht, die anderen Mütter geben einem – bewusst oder unbewusst – das Gefühl, man mache es falsch. Ja, und irgendwann glaubt man es dann selbst.
    So leide ich noch heute (meine Kinder sind inzwischen 11 und 14) unter einem chronischen schlechten Gewissen und der zwanghaften Vorstellung, alle anderen Mütter würden alles besser hinkriegen als ich.
    Besonders eine meiner Freundinnen bringt mich zur Verzweiflung. Nicht nur, dass sie Beruf, Haushalt und Familie perfekt managt, sie wirkt auch nie gestresst dabei! Und ihre Kinder erst! Gut in der Schule, höflich und hilfsbereit, sauber und adrett gekleidet, und ordentliche Kinderzimmer haben sie auch noch – und das, obwohl alle drei im Pubertätsalter sind. In dieser Familie wird nicht geschrien und nicht gestritten, alle sind ständig gut drauf und nett zueinander.
    Wenn ich da den Blick auf unser Familienleben richte, gerate ich schon ins Grübeln.
    Lautstarke Auseinandersetzungen und knallende Türen sind durchaus keine Seltenheit. Das eine der beiden Kinderzimmer ist nur mit dem Minibagger passierbar, im anderen darf kein Buch verrückt werden, sonst gibt’s Zoff. Hilfe im Haushalt muss nachdrücklich und jeden Tag aufs Neue eingefordert werden, und über die Schulleistungen unserer Sprösslinge kann man durchaus geteilter Meinung sein.
    WAS MACHE ICH BLOSS FALSCH? Alles. Nichts. Oder?
    Ich habe beschlossen, mit der Selbstzerfleischung aufzuhören. Ich tue, was ich kann, und das so gut wie möglich. Mehr geht eben nicht. Dann wird halt mal gestritten, dann fliegen halt mal die Türen. Und was sind schon ein ordentliches Kinderzimmer oder geputzte Schuhe gegen meinen inneren Seelenfrieden?

Die Krise in der Krise
    Was waren das noch für selige Zeiten, als man termingerecht seine Lebenskrisen bekam, und die Mitmenschen reagierten wissend und voller Verständnis.
    Pubertät? Na, klar, das war diese Zeit zwischen zwölf und sechzehn, in der man Pickel hatte, die Eltern zum Kotzen fand und bis zur Besinnungslosigkeit Musik hörte, die jeden Erwachsenen in die Flucht schlug. Wenn man Pech hatte, trug man auch noch eine Zahnspange, aber hässlich fühlte man sich sowieso, deshalb war es eigentlich egal. Man führte allerhand Selbstversuche durch, zum Beispiel, wie lange man sich nicht waschen kann, ohne dass der Banknachbar sich demonstrativ wegsetzt, oder, wie viel Cola mit Eckes Edelkirsch man trinken kann, bevor man ins Koma fällt.
    Es folgte die Krise um zwanzig. Man war gerade fertig mit der Schule, hatte die ersten Praktika hinter sich und war ziemlich ernüchtert. Zehn Stunden täglich fotokopieren und Kaffee kochen – das konnte es ja wohl nicht sein! Die Aussicht auf weitere Jahre des Ausgebeutetwerdens, bis man vielleicht vom Praktikanten zum dritten Assistenten aufgestiegen wäre, bewegte manchen Verächter akademischer Bildung zur Einschreibung an einer Hochschule. Das konnte ja so anstrengend nicht sein. War es auch nicht, wenn man – wie viele Wohlstandskinder – die Uni als Zwischenstation betrachtete, wo man Leute kennen lernen und darauf warten kann, dass man entweder den Traumpartner oder den Traumjob ergattert. Die Bafög-Rückzahlung war in weiter Ferne, Studentenjobs reich gesät, bei manchen lief es mit dem Jobben so gut, dass sie vom Hörsaal direkt hinter den Tresen wechselten und dort blieben.
    Klar, dass die nächste Krise programmiert war: Je näher der dreißigste Geburtstag rückte,
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