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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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Seit Sie Helen Jonas getötet haben, habe ich nämlich nicht mehr so übermäßig viel Spaß am Leben, und die Folgen wären mir egal gewesen. Aber, ehrlich gesagt, es war mir nicht gemein genug. Schauen Sie, Frau Jonas hat Ihnen vertraut, und Sie haben Sie umgebracht. Diesen speziellen Aspekt wollte ich gerne berücksichtigen.«
    Morisaittes Mimik war lebhaft, aber wegen der entstellenden Lähmung nicht einfach zu interpretieren. Er hatte verstanden, dass ich offenbar für seinen Zustand verantwortlich war, konnte sich aber nicht erklären, was ich getan hatte. Auf seiner Stirn hatte sich ein fettglänzender Schweißfilm gebildet. Seine linke Hand umklammerte den Joystick des Elektrorollstuhls, und er war drauf und dran, ihn abzubrechen.
    »Hat Jacqueline Sie besucht? Ich darf sie doch Jacqueline nennen, oder? Wahrscheinlich haben Sie in jeder verdammten Nacht darüber nachgegrübelt, warum sie nicht kommt. Wie sie es wagen kann, nicht zu kommen. Sie kommt nicht, weil sie weg ist. Weg aus Belgien und weg aus Europa. Richtung Indischer Ozean, vielleicht Sansibar. Wo es warm ist und die Farben leuchten. Genau das Richtige für eine Malerin.«
    Sein Gesicht hatte sich jetzt so stark gerötet, dass ich Angst bekam, er könnte einen zweiten Schlaganfall bekommen, bevor ich die Geschichte zu Ende erzählt hatte. Seine linke Hand vollführte eine unkontrollierte Bewegung, und sein Stuhl rollte einen halben Meter auf mich zu. Ich stand auf und setzte mich hinter den Tisch.
    »Sie haben das schlau eingefädelt, sehr schlau sogar. Jemanden mit Kaliumchlorid umzubringen. Beinahe in aller Öffentlichkeit. Respekt! Und trotzdem sind Sie auf eine grundlegende Weise dumm, die nichts mit Ihrem IQ zu tun hat. Das Dumme an Ihnen ist Ihr unerschütterlicher Glaube daran, mit allem durchzukommen. So was muss wachsen. Wie war das? Haben Sie mit fünf das erste Mal eine Katze gequält, und die Nachbarn haben Ihnen aus den Fenstern dabei zugesehen und dann einfach die Vorhänge zugezogen? Der Katze sind wahrscheinlich nach und nach größere Tierchen gefolgt. Ich wette, es gab da ein Mädchen, dem Sie mit fünfzehn den Kiefer gebrochen haben, weil sie nicht mit Ihnen schlafen wollte, und Sie waren sich absolut sicher, dass sie niemandem von Ihnen erzählen würde. Und dann Bosnien! Als die Serben dem Rest der Welt demonstrierten, mit was man alles durchkam. Das muss wirklich Ihre Zeit gewesen sein. Selbstverständlich waren Sie überzeugt davon, dass der Tod von Helen Jonas als Herzstillstand durchgehen würde. Genauso, wie Sie sicher waren, dass Anna und ich mit dem Geld fluchtartig verschwinden würden. Und Jacqueline van t’Hoff? Natürlich konnten Sie ihr eine reinhauen, wann immer sie es verdient hatte. Schauen Sie, das habe ich mit ›dumm‹ gemeint: Wie können Sie jemandem vertrauen, den Sie schlagen?«
    Morisaitte rollte jetzt an die Tischplatte heran und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger der linken Hand auf mich. Es war eine verzweifelte, anklagende Geste. Die Sehnen an seinem Hals traten hervor wie Kabeltrossen, und die Unfähigkeit, seiner Wut und Verzweiflung körperlich oder sprachlich Luft zu machen, trieb seinen Blutdruck in schwindelerregende Höhen.
    »Das nimmt Sie alles zu sehr mit«, sagte ich, »lassen Sie es mich kurz machen: Vor etwa vier Wochen hatten Sie beruflich in Deutschland zu tun. Also habe ich Jacqueline van t’Hoff aufgesucht und ihr ein Angebot gemacht. Wenn es Sie beruhigt, sie hat nicht gleich Ja gesagt. Allerdings hat sie nicht aus Liebe gezögert. Sie hatte so viel Angst vor Ihnen, dass ich das Angebot erhöhen musste. Aber Sie wissen ja, letztendlich ist alles eine Preisfrage. Für vierhunderttausend Euro hat sie eingewilligt, Ihnen eine Winzigkeit Rohypnol in den Drink zu kippen. Was sagen Sie dazu? Ist doch preiswert! Vielleicht hätte sie es auch für weniger gemacht, aber ich wollte das Geld loswerden. Sie haben ihr vertraut, nicht wahr? Ich hoffe, Sie können es würdigen, dass ich mich mit dem Rohypnol um eine gewisse Parallelität der Ereignisse bemüht habe. Als Sie nach Brüssel zurückkehrten, sind Sie mit ihr essen gegangen und anschließend zu Ihrem Apartment in Anderlecht gefahren. Erinnern Sie sich? Dort hat sie Ihnen das Zeug ins Glas geschüttet. Der ultimative Absacker sozusagen. Eine Viertelstunde später hat sie mir dann die Tür geöffnet, den Geldkoffer entgegengenommen und sich auf eine sehr lange Reise begeben.
    Haben Sie es sich schon zusammengereimt, was ich
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