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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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dieses Bürgerkrieges dar. Die andere Spezialität sind die Massenvergewaltigungen von Frauen und Mädchen der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe als Mittel der Kriegsführung. Und jetzt nähern wir uns unserem eigentlichen Thema.«
    Teerboom hatte während seines kleinen Vortrags fleißig seinen Laptop bedient und seine Ausführungen mit Abbildungen von Zeittafeln, Landkarten und Politikern illustriert. Jetzt erschien auf dem Monitor die große Farbaufnahme einer idyllischen Flusslandschaft.
    »Dies ist das Drina-Tal im Osten Bosniens mit den Orten Foca, Visegrad und Miljevina. Hier geschehen im Jahre 1992 fürchterliche Dinge. Der Ort Visegrad wird am 4. April 1992 zunächst von regulären Verbänden der jugoslawischen Armee angegriffen. Am 6. April kommt das berüchtigte ›Uzice-Korps‹ der JNA zusammen mit den paramilitärischen Banden der ›Arkanovci‹, ›Seseljevci‹ und ›Bijeli orlovi‹ dazu, und es beginnt ein beispielloses Massaker an den Zivilisten, die sich in die nahe liegenden Berge und Wälder geflüchtet haben. Es werden mindestens zweitausend Menschen getötet, und die Muslime verlieren alle Freiheiten und Bürgerrechte, die sie bis dahin hatten.
    Zugleich errichten serbische Extremisten in den Ortschaften Foca, Visegrad, Miljevina und Elemis Internierungslager für Frauen und Mädchen, die als Vergewaltigungslager im Drina-Tal bekannt geworden sind. Aberhunderte von Frauen werden dort über einen unvorstellbar langen Zeitraum misshandelt und fortwährend systematisch vergewaltigt. Die Zeugenaussagen der Frauen, die diese Lager überlebt haben, sind mittlerweile vielfach dokumentiert und publiziert, aber die Verbrechen blieben nach dem Bürgerkrieg weitgehend ungesühnt. Nach den Veröffentlichungen der Gesellschaft für bedrohte Völker sind immer noch mehr als fünfhundert Kriegsverbrecher aus dem Drina-Tal auf freiem Fuß. Viele leben mittlerweile wieder völlig unbehelligt in Foca und Visegrad und bekleiden zum Teil hohe öffentliche Ämter. Nach einigen wenigen wird aber immer noch seitens des Haager Tribunals gefahndet.«
    Teerboom ließ auf dem Bildschirm eine Liste von fünf serbisch klingenden Namen erscheinen, die allesamt auf -ic endeten. Anna hatte meine Hand genommen und fing jetzt an, meine Finger zu kneten. Sie war sehr blass.
    »Es ist nicht leicht, Bilder von diesen Personen zu beschaffen«, fuhr Teerboom fort, »aber ich konnte einfach nicht glauben, dass Leute, die es so sehr genießen, andere zu erniedrigen, nicht auf die Idee kommen, davon Erinnerungsfotos besitzen zu wollen. Also habe ich einen Experten hinzugezogen – einen britischen Fotografen, der sich seit dreißig Jahren auf den Schlachtfeldern dieser Welt herumtreibt und sich im Internet sehr gut auskennt. Und auf einer sehr obskuren russischen Website hat er das hier gefunden. Passen Sie auf!«
    Es war ein gutes Foto, schwarz-weiß, aber scharf. Es zeigte zwei Männer in Khaki-Uniformen auf einer Landstraße. Sie saßen hintereinander auf einem staubigen Motorrad, stützten sich mit jeweils einem Bein am Boden ab und lachten in die Kamera. Der vorn sitzende Mann zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ein Hinweisschild, das am Straßenrand aufgestellt war. Auf dem Schild stand: Foca 5 km. Der andere Mann reckte triumphierend den Daumen in die Luft. Im Hintergrund des Bildes war eine offenbar blühende Frühlingswiese zu sehen, auf der ein einzelner großer Apfelbaum stand. An dem Baum hing ein Mann. Seine herausquellende Zunge war ein schwarzer Schatten in der Nachmittagssonne.
    »Ich glaube, der Mann vorne ist Radomir Kovac, obwohl er sich in den vergangenen fünfzehn Jahren sehr verändert hat. Er wurde geschnappt und zu zwanzig Jahren verurteilt. Aber der hinten hat sich nicht sehr verändert, oder?«
    Teerboom hatte recht. Yves Morisaitte, oder wie immer er auch heißen mochte, hatte in jedem Lebensalter gleich gut ausgesehen. Anna presste meine Hand jetzt so heftig, dass es auch ohne Fingernägel wehtat.
    »Wer ist der Kerl?«, flüsterte sie.
    Teerboom wies mit einer Handbewegung auf den alten Verlaine. Der räusperte sich, holte dann aus seiner Jackentasche eine Schachtel Dunhill und betrachtete sie nachdenklich. Einen Wimpernschlag lang war ich versucht, sie ihm einfach wegzunehmen und mir sofort eine anzuzünden. Dann steckte er die Zigaretten wieder ein.
    »Zlatko Zevic«, sagte er dann, »ein ehemaliger Krankenpfleger aus Frankfurt am Main. Geboren 1953 in Belgrad als Sohn von Gojko und Antonia
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