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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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kleines Atelier mit Wohnung im Marollen-Viertel. Morisaitte sieht sie fast jeden Tag. Sie gehen abends zusammen essen, und er hat in der vergangenen Woche viermal bei ihr übernachtet. Sie scheinen sich schon länger zu kennen.«
    In rascher Folge zeigte der Bildschirm jetzt Fotos des Paares, die während der einwöchigen Observation geschossen worden waren. Morisaitte und van t’Hoff in einer Galerie, auf dem Wochenmarkt und immer wieder in Restaurants und Bars.
    »Stoppen Sie mal«, sagte Anna. »Irgendwas ist komisch bei diesen Fotos.«
    Teerboom und die Verlaines sahen sie überrascht an und schwiegen.
    »Das erste Foto, das Sie uns gezeigt haben«, sagte Anna jetzt, »als Sie das aufgenommen haben, war sie da allein?«
    Verlaine sah zu Teerboom herüber, und der nickte. Ich fing Annas Blick auf und schüttelte den Kopf. Ich begriff, was sie meinte, aber es war nicht nötig, die Verlaines mit der Nase darauf zu stoßen.
    »Wie auch immer«, sagte ich, »wir wollen die CDs mit allen Fotos, Berichten und Ergebnissen inklusive des Materials, das die Frankfurter Polizei nach Antwerpen übermittelt hat. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet. Da ist nur noch eine Kleinigkeit, und dann sind Sie uns auch schon los.«
    Ich schrieb ein paar Worte auf einen Zettel und schob ihn zusammen mit dem Aktenkoffer, der die zweiten fünfhunderttausend Euro enthielt, zu Verlaine hinüber.
    »Besorgen Sie mir das hier, und lassen Sie es von einem Kurier in mein Hotel bringen. Und erzählen Sie mir nicht, dass ein Mann mit Ihren Möglichkeiten diese Dinge nicht beschaffen kann!«
    Verlaine las den Zettel und starrte mich durchdringend an.
    »Ich weiß nicht, was Sie vorhaben«, sagte er kalt, »und ich will es auch gar nicht wissen. Aber seien Sie froh, dass ich das Foto von dem Mann im Apfelbaum gesehen habe. Sonst würde ich Ihnen den Koffer jetzt zurückgeben und die Polizei anrufen. Kommen Sie nicht mehr hierher!«

Zweiundvierzig
    W
    as genau hast du gesehen?«, fragte ich Anna.
    »Du zuerst.«
    »Sie mag ihn nicht besonders.«
    »Ja, ich glaube, sie ist unglücklich. Und sie hat Angst.«
    Wir saßen im Hotel auf meinem Bett und schauten uns auf Annas Laptop die Fotos von Morisaitte und van t’Hoff an.
    »Pass auf«, sagte Anna, »hier ist das erste Bild, das Teerboom uns gezeigt hat. Sie ist offensichtlich allein unterwegs. Könnte auf dem Flohmarkt sein, hier links am Bildrand, das sieht aus wie ein Marktstand. Aber das Wichtigste auf dem Bild ist ihr Lächeln. Sparsam, aber entspannt. Und jetzt schau dir die anderen an.«
    Es waren insgesamt vierundzwanzig Fotos, auf denen beide gemeinsam zu sehen waren. Fast alle Bilder zeigten einen lebhaften, gut aufgelegten Morisaitte, der viel lachte und sprach, und eine Frau an seiner Seite, die einen ruhigen, beherrschten und in sich gekehrten Eindruck machte.
    »Sie hat Lippen wie Angelina Jolie«, sagte Anna, »aber sie lächelt nicht. Sie spricht nicht, sie hält nicht seine Hand. Gar nichts.«
    »Wie kommst du darauf, dass sie Angst hat?«
    Anna ließ die Bildfolge vorlaufen und stoppte bei Nummer achtzehn.
    »Deshalb«, sagte sie.
    Es war eines der zahlreichen Restaurantfotos. Beide saßen an einem kleinen Ecktisch, und Morisaitte hatte sich von ihr abgewandt, möglicherweise um den Kellner zu rufen. In dieser Sekunde musste ihr Gesicht den Ausdruck angenommen haben, den der Fotograf festgehalten hatte. Ihre Mundwinkel waren leicht abgesenkt und die Nasenflügel nach oben gezogen. Ich sah Widerwillen und vielleicht Besorgnis. Mehr nicht.
    »Wenn sie nur nicht dauernd diese blöde Sonnenbrille tragen würde.«
    »Macht nichts«, sagte Anna, »schau her!«
    Sie zoomte das Gesicht näher heran und konzentrierte sich dann auf das linke Glas der dunklen Brille, das wiederum eine schmale, ungleichmäßig dunkle Umrandung aufwies.
    »Was denkst du?«
    »Ich denke, dass das keine Schminke ist. Das ist ein Hämatom.«
    Als Teerboom uns in der Agentur die Fotos zeigte, hatte ich beinahe zeitgleich mit Anna begriffen, was wir da sahen und was es bedeutete. Das blaue Auge hatte ich übersehen, aber es war sozusagen das Sahnehäubchen auf der ganzen widerlichen Geschichte. Im Bruchteil einer Sekunde hatte ich vor mir gesehen, was passieren würde. Das ist nicht dein Ernst, flüsterte Helens Stimme in meinem Kopf, aber sie klang unsicher. Come on, baby, dachte ich zynisch, du willst es doch auch.
    »Warum grinst du so?«, fragte Anna.
    »Weil das hier ganz wunderbare Neuigkeiten
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