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Öl!

Titel: Öl!
Autoren: Upton Sinclair
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Haar verriet, dass er eine Menge Sorgen gehabt hatte und allmählich alt wurde. Seine Züge waren derb, sein Gesicht rundlich, aber er hatte eine markante Kieferpartie, der er ein gefährlich zielstrebiges Aussehen geben konnte. Meistens jedoch wirkte sein Gesichtsausdruck friedlich, fast lethargisch, seine Gedanken entwickelten sich langsam und beschäftigten ihn lange. Bei Gelegenheiten wie dieser zeigte er sich von der freundlichen Seite; er unterhielt sich gern mit den einfachen Leuten, denen er unterwegs begegnete, Leuten seines Schlags, denen sein ungeschlachtes Englisch nicht auffiel und die nicht versuchten, ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen – zumindest nicht so viel, dass es eine Rolle gespielt hätte.
    Gern beschrieb er dem Tankwart das Wetter oben auf dem Pass. Ja, es wär dichter Nebel da oben, der hätte sie ’n bisschen aufgehalten, man käm übel ins Schleudern. Dort oben hätten viele Autos Schwierigkeiten, antwortete der Mann, der Boden sei lehmig, rutschig wie Glas, man bräuchte bessere Bankette. Das wär aber eine Menge Arbeit, meinte Dad, da müsste man ja den halben Berg abtragen. Der Mann sagte, der Nebel gehe bald weg, im Mai gebe es oft Hochnebel, aber gegen Mittag klare es meistens auf. Er wollte noch wissen, ob Dad Benzin brauche, aber Dad sagte, nein, sie hätten vollgetankt, bevor sie den Pass in Angriff genommen hätten. In Wirklichkeit war Dad heikel, er tankte nur sein eigenes Benzin, doch das sagte er nicht, um die Gefühle des Mannes nicht zu verletzen.
    Er gab dem Tankwart für seine Dienste einen Silberdollar, und der Mann wollte wechseln gehen, aber Dad erklärte, er könne den Rest behalten; der Mann war völlig überwältigt und hob den Finger zu einer Art militärischem Gruß; er merkte offenbar, dass ein «großer Mann» vor ihm stand. Dad war an solche Szenen natürlich gewöhnt, aber immer noch wärmten sie ihm ein wenig das Herz, und in seiner Tasche klingelte stets ein Vorrat aus Silber- und halben Dollars, damit alle, mit denen er zu tun hatte, diese innere Wärme teilen konnten. «Arme Teufel», pflegte er zu sagen, «verdienen nicht viel.» Er wusste das, weil er einer von ihnen gewesen war, und er versäumte nie eine Gelegenheit, dem Jungen davon zu erzählen. Für ihn war es Realität, für den Jungen Romantik.
    Hinter der Tankstelle befand sich ein kleiner Verschlag mit der taktvollen Aufschrift «Herren». Dad nannte es die «Wasserentnahmestelle», und über diesen Witz mussten sie beide lachen. «Das bleibt aber unter uns», sagte Dad, «das darfst du nicht weitererzählen, über so was regen sich andere Leute nur auf.» Andere Leute waren seltsam, aber warum sie seltsam waren, wurde nicht erklärt.
    Die beiden setzten sich wieder ins Auto und fuhren los, und genau da tauchte auf einmal hinter ihnen der Bulle auf. Ja, Dad hatte recht gehabt, der Mann war ihnen gefolgt, und er machte ein finsteres Gesicht, als er sie sah. Sie hatten aber nichts mit ihm zu schaffen, und so fuhren sie weiter. Bestimmt wollte er die Tankstelle als Versteck benutzen und Geschwindigkeitssünder aufspüren, sagte Dad. Und so war es auch. Sie waren erst ein oder zwei Meilen in ihrem langweiligen Dreißigertempo gefahren, als hinter ihnen eine Hupe ertönte und ein Auto vorbeirauschte. Sie ließen es ziehen, und eine halbe Minute später stellte Dad mit einem Blick in den kleinen Spiegel fest: «Jetzt kommt der Bulle!» Der Junge drehte sich um und sah, wie das Motorrad sie mit dröhnendem Motor überholte. Der Junge hüpfte auf seinem Sitz auf und ab. «Ein Rennen! Ein Rennen! Los, Dad, verfolgen wir sie!»
    Dad war noch nicht zu alt für ein wenig sportlichen Ehrgeiz, außerdem war es vorteilhaft, den Feind vor sich zu haben, wo man ihn beobachten, aber nicht von ihm beobachtet werden konnte. Dads Auto schoss los, und wieder krochen die Zahlen an dem roten Strich des Tachometers vorbei, fünfunddreißig, vierzig, fünfundvierzig, fünfzig, fünfundfünfzig. Der Junge schwebte fast über seinem Sitz, seine Augen glänzten, und er hatte die Fäuste geballt.
    Das Betonband war zu Ende, sie fuhren nun auf einer breiten, planierten Schotterstraße, die sich bedächtig durch ein sanft hügeliges, mit Weizen bebautes Land schlängelte. Die Straße war plattgewalzt, doch es gab kleine Unebenheiten, und der Wagen hüpfte von einer zur anderen. Er war mit Sprungfedern, Stoßdämpfern, Puffern und allen erdenklichen Raffinessen für komfortables Reisen ausgerüstet. Vor ihnen stiegen
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