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Öl!

Titel: Öl!
Autoren: Upton Sinclair
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wenig schneller jetzt, aber immer noch vorsichtig und erheblich in Verzug.
    «Guadalupe-Pass, Wasserscheide, Vorsicht: 15 Meilen in den Kurven». So stand es auf dem Schild. Sie krochen jetzt im ersten Gang nach unten, aber das Auto nahm ihnen diese Zügelung übel und vibrierte ungeduldig. Dads Brille, vom Nebel beschlagen, lag auf seinem Schoß, sein Haar war feucht, und Tropfen liefen ihm über die Stirn in die Augen. Es machte Spaß, den Nebel einzuatmen und seine Kälte zu spüren, es machte Spaß, hinüberzugreifen und auf die Hupe zu drücken – jetzt erlaubte Dad alles, was immer man wollte. Ein Auto kam aus dem Dunst auf sie zugekrochen, ebenfalls kräftig hupend, ein Ford, der vom Anstieg kochte und dem der Dampf aus dem Kühler quoll.
    Dann lichtete sich der Nebel plötzlich. Noch ein paar Fetzen, und es war vorbei, sie waren frei, der Wagen schnellte vorwärts, und der Blick öffnete sich – oh, wunderbar! Die Bergkuppen wurden immer niedriger und liefen aus in eine Landschaft, weit wie die Ewigkeit, man wünschte sich Flügel, um im Sturzflug hinunterzuschießen und über die Gipfel und flachen Ebenen zu segeln. Wozu Geschwindigkeitsbegrenzungen, Kurven, kleine Gänge und Bremsen? «Reib mir mal die Brille trocken», sagte Dad prosaisch. Landschaft war schön und gut, aber er musste sich rechts von der weißen Linie halten. «Höööh! Höööh!», machte die Hupe auf allen Außenkurven.
    Sie glitten hinunter, und ganz allmählich verschwand der Ausblick, sie waren wieder gewöhnliche Sterbliche, auf die Erde zurückgekehrt. Die Kurven wurden weiter, sie ließen die letzte Bergflanke hinter sich, und vor ihnen lag ein langer, gerader Abhang, der Wind begann zu pfeifen, und die Zahlen schoben sich am roten Strich des Tachometers vorbei. Jetzt holten sie die verlorene Zeit auf. Hui! Wie die Bäume und Telegrafenmasten vorbeizischten! Sechzig Meilen, da bekäme es manch einer mit der Angst zu tun, aber kein vernünftiger Mensch bekam Angst, solange Dad am Steuer saß.
    Doch plötzlich wurde das Auto wieder langsamer, man rutschte auf dem Sitz nach vorn, und der kleine rote Strich zeigte fünfzig, vierzig, dreißig Meilen. Die Straße verlief schnurgerade, es war kein anderes Auto in Sicht, und dennoch stand Dads Fuß auf der Bremse. Der Junge blickte fragend auf. «Bleib ganz ruhig sitzen», sagte der Mann. «Schau dich nicht um. Tempofalle.»
    Oho! Ein Abenteuer, das das Herz eines Jungen höherschlagen ließ! Er hätte sich gern umgesehen, begriff aber, dass er regungslos dasitzen und völlig unschuldig nach vorn starren musste. Sie waren nie im Leben schneller als dreißig Meilen in der Stunde gefahren, und wenn ein Verkehrspolizist glaubte, er habe sie bergab schneller fahren sehen, handelte es sich um eine optische Täuschung, den typischen Irrtum eines Menschen, dem sein Beruf den Glauben an die Menschheit genommen hatte. Ja, es musste schrecklich sein, wenn man ein «Verkehrsbulle» war und das ganze Menschengeschlecht zum Feind hatte! Wenn man zu ehrenrührigen Methoden griff wie der, sich mit einer Stoppuhr im Gebüsch zu verstecken, durch ein Telefonkabel mit einem Kollegen verbunden, der in einiger Entfernung ebenfalls mit einer Stoppuhr lauerte, und auf diese Weise Autofahrer zu kontrollieren! Sie hatten sogar ein Spiegelsystem für den Straßenrand ausgeheckt, mit dem auch ein einzelner Polizist das Aufblitzen eines vorbeifahrenden Autos sehen und die Zeit stoppen konnte. Vor solchem Unheil musste ein Fahrer immer auf der Hut sein; beim leisesten Verdacht musste er rasch langsamer werden – aber auch nicht zu rasch – nein, nur ganz natürlich das Tempo verlangsamen, als hätte er eben bemerkt, dass er zufällig, nur für einen kurzen Augenblick und um ein weniges, die Geschwindigkeit überschritten hatte, bis zu der Autofahren absolut ungefährlich war.
    «Der Kerl wird uns folgen», sagte Dad. Er vermochte vermittels eines kleinen Spiegels in Augenhöhe solche Feinde des Menschengeschlechts im Blick zu behalten, doch der Junge, der nicht in den Spiegel sehen konnte, saß wie auf glühenden Kohlen und bekam von dem ganzen Spaß nichts mit.
    «Siehst du was?»
    «Nein, noch nicht, aber er kommt schon noch, er weiß, dass wir schneller geworden sind. Er setzt sich an diese schnurgerade Gefällstrecke, weil an einer solchen Stelle jeder schneller fährt.» Da sah man wieder, wie niederträchtig diese Verkehrsbullen waren! Suchten sich eine Stelle aus, wo es vollkommen ungefährlich war, wenn
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