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Öl!

Titel: Öl!
Autoren: Upton Sinclair
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Rechtskurve, wenn der Berghang ihm die Sicht auf die Straße nahm, drückte er auf die Hupe. Es war eine große, gebieterische Hupe, irgendwo unter der breiten Motorhaube versteckt, eine Hupe für einen Mann, den seine Geschäftsreisen durch ein Gebiet von den Ausmaßen antiker Kaiserreiche führten, auf den am Ende der Fahrt wichtige Verabredungen warteten und der Tag und Nacht durchfuhr, bei gutem und schlechtem Wetter. Die Hupe klang scharf und militärisch, ohne jeden Unterton menschlicher Freundlichkeit. Bei fünfzig Meilen die Stunde bleibt kein Raum für solche Gefühle – man will, dass die Leute ausweichen, und zwar sofort, und das teilt man ihnen mit. «Höööh!», machte die Hupe – ein Ton, den man durch die Nase erzeugen musste, denn die Hupe war eine einzige große Nase. Machte der Highway einen plötzlichen Schwenk: «Höööh!» Kam ein scharfer Vorsprung und wieder ein Schwenk: «Höööh!» So wand man sich höher und höher, und die Felswände des Guadalupe-Passes warfen den seltsamen neuen Schrei zurück – «Höööh! Höööh!». Die Vögel blickten sich erschreckt um, die Erdhörnchen tauchten in ihre Sandlöcher ab, die Farmer in ihren klapprigen Fords und die Südkalifornientouristen mit ihren Hühnern und Hunden und Säuglingen und am Trittbrett festgeschnallten Blechpfannen – sie alle wichen bis zum gefährlichen äußersten Zoll des Highways aus, und der schnittige, pfeilschnelle Sportwagen raste weiter: «Höööh! Höööh!»
    Jeder Junge findet so etwas herrlich. Einfach klasse, da oben knapp unterhalb der Wolken dahinzuschweben, in einer Maschine mit Zauberkräften, die dem leisesten Druck des Fußballens gehorchte. Die Kraft von neunzig Pferden – das muss man sich mal vorstellen! Angenommen, man hätte neunzig Pferde vor sich, fünfundvierzig Paare hintereinander, die um die Flanke eines Berges galoppierten, würde einem das nicht den Puls hochjagen? Und dieses magische Band aus Beton, das ausgebreitet vor einem lag, sich mal hierhin, mal dorthin wand, sich in fast unveränderlicher Steigung nach oben tastete, die Schulter eines Berges erklomm, schnurgerade den Gipfel eines zweiten durchschnitt, in den schwarzen Bauch eines dritten tauchte, sich drehte und wendete und sich in den Außenkurven nach innen und in den Innenkurven nach außen neigte, sodass man immer ausbalanciert und sicher fuhr, und der weiße Strich, der die Mitte markierte, sodass man immer genau wusste, wo man sich von Rechts wegen aufhalten durfte – welche Zauberhand hatte das alles geschaffen?
    Dad hatte es erklärt: Geld. Männer mit Geld hatten es angeordnet, dann waren Vermesser und Ingenieure gekommen, Tausende von Erdarbeitern, Schwärme von Mexikanern und bronzehäutigen Indianern, gerüstet mit Pickel und Schaufel, riesige Löffelbagger mit baumelnden stählernen Hummerscheren, Kräne mit weit ausschwingenden Armen, Flachbagger und Planiermaschinen, Stahlbohrer, Sprengmeister mit Dynamit, Brechwerke und Betonmischer, die Tausende von Zementsäcken fraßen und Wasser aus einem mehlbestäubten Schlauch soffen und deren runde Stahlbäuche sich den ganzen Tag über knirschend drehten. Sie alle hatten ein, zwei Jahre lang geschuftet und Meter um Meter das magische Band entrollt.
    Zum ersten Mal seit Anbeginn der Welt gab es Menschen, die zu so etwas imstande waren. Und Dad war einer von ihnen, er konnte solche Sachen machen und war auch jetzt unterwegs zu einer solchen Unternehmung. Heute Abend um sieben wartete im Foyer des «Hotel Imperial» in Beach City ein Mann auf ihn, der Ölsucher Ben Skutt, den Dad seinen «Spürhund» nannte. Der würde ihm ein sauber ausgearbeitetes Projekt mit unterschriftsreifen Papieren vorlegen. Folglich hatte Dad ein Recht auf freie Fahrt. Die scharfe, militärische Stimme der nasalen Hupe bedeutet nichts als: «Höööh! Höööh! Dad kommt! Aus dem Weg! Höööh! Höööh!»
    Der Junge saß gespannt und hellwach da und sah die Welt aus einer Warte, wie es sich die Menschen in den Tagen von Harun al Raschid erträumt hatten: vom Rücken eines Zauberpferdes, das über den Wolken galoppiert, von einem fliegenden Teppich hoch in den Lüften. Vor ihm entfaltete sich das Panorama eines Riesen, nach jeder Kurve tat sich ein neuer Ausblick auf, unten schlängelten sich Täler dahin, oben erhoben sich Gipfel und Bergketten, so weit das Auge reichte. Jetzt, im Herzen des Gebirges, sah man, dass in den tiefen Schluchten Bäume wuchsen, turmhohe alte Kiefern, von Stürmen zerzaust
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