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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
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Die Insel der Mandarine von Barry Hughart
     
    1
    Es liegt mir fern, die
widerwärtigen Einzelheiten um den Wirt Sechsten Grades Tu näher zu beschreiben.
Ich sage nichts weiter, als daß ich zu dem Zeitpunkt, als wir ihn endlich
erwischten, halbtot und Meister Li so schwer mitgenommen war, daß er sich tatsächlich
als kaiserlicher Zeuge bei der Hinrichtung zur Verfügung stellte. Dergleichen
hatte die Welt noch nicht gesehen, da es der alte Mann haßt, das offizielle
Gewand eines Würdenträgers Ersten Ranges anzulegen, auch wenn er nach wie vor
dazu berechtigt ist; im übrigen kann er den Lärm solcher Veranstaltungen nicht
ausstehen.
    In Peking sind
Hinrichtungen öffentliche Ereignisse und finden auf dem Gemüsemarkt statt, der
im Westen an die Brücke des Himmels angrenzt und das Verbrecherviertel der
Stadt ist. Es findet sich stets eine große Zahl von Zuschauern ein, und an
diesem speziellen Hinrichtungstag würde mit Sicherheit eine größere
Menschenmenge als je zuvor herbeiströmen, denn Teufelshand wollte den
bestehenden Rekord brechen. Teufelshand ist eine Berufsbezeichnung, die
von einem Obersten Henker Pekings zum nächsten weitergegeben wird. Vor ein paar
Jahrhunderten war es einem Scharfrichter gelungen, in einer Folge 1070
Enthauptungen ohne einen zweiten Hieb seines mächtigen Schwertes durchzuführen.
Unser derzeitiger Henker hatte bereits 1044 aufeinanderfolgende derartig
»saubere« Hinrichtungen zu verbuchen, und da dreißig verurteilte Verbrecher zur
Hinrichtung auf dem Programm standen, konnte der alte Rekord durchaus gebrochen
werden, bevor der Tag zu Ende ging.
    Es war der erste Tag des
vierten Mondes im Jahr des Pferdes 3338 (640 n. Chr.), und jeder Spieler in der
Stadt hatte sich auf den Marktplatz gedrängt, wo die Stände der Buchmacher
dicht umlagert waren. Meister Li meinte, seit der Kaiser Yang bei einem
Krik-ketspiel um die Stadt Soochow gewettet hatte, hätten die Leute nicht mehr
so mit dem Geld um sich geworfen. (Die Buchmacher sahen sich vor dem Ruin, da
sie ursprünglich astronomische Summen dagegen geboten hatten, daß der Rekord
gebrochen wurde. Ich selbst hatte eine kleine Wette abgeschlossen, jedoch gegen
Teufelshand. Der Druck, unter dem er stand, war gewaltig und würde mit jedem
Kopf, der rollte, größer werden, und es reichte ein Insektenstich oder ein
Ausrutscher in einer Blutlache, um das Ziel zu verfehlen, und jedem, der es für
einfach hält, einen bestimmten Punkt immer wieder mit einer schweren Klinge an
der gleichen Stelle zu treffen, sei es anheimgestellt, einen Baum
umzuschlagen.) Hinzu kam, daß alle Taschendiebe und Schwindler Pekings zur Stelle
waren, und es stand zu erwarten, daß angesichts der außergewöhnlich festlich
gestimmten Zuschauermenge jeder fliegende Händler, der sich ein Plätzchen
ergattern konnte, seine Waren feilbieten würde. Unzählige geplatzte
Trommelfelle waren die Folge. Es klang ungefähr so:
    »Sha lajen la !«
    »Hao! Hao! Hao !«
    »Hao tao !«
    »Boinngg-boinngg-boinngg-boinngg-boinngg !«
    »Meine Geldbörse! Wo ist meine silberne Halskette !«
    Unterdessen brüllte
Teufelshand die rituellen Worte: »Ich habe meinen Mann !« ,
worauf die Menge heulte: »Gut! Gut! Gut !« und manche
Kenner da, wo es angebracht war, ihre Anerkennung zollten, indem sie schrien:
»Gutes Schwert!« Ein Haushaltswarenhändler schlich sich unbemerkt hinter mich,
visierte mein linkes Ohr an und entfesselte das übliche Getöse, mit dem er
seine Waren anpries: an Stöcken befestigte Holzkugeln, mit denen er heftig auf
einen Messinggong eindrosch. Das gequälte Wimmern am Ende spricht für sich, und
es war wirklich interessant, von meinem günstigen Standort aus
hinunterzublicken und zu beobachten, wie das Opfer von Fu-po, dem Frettchen,
seiner Wertsachen beraubt wurde.
    Ich saß neben Meister Li
auf der Ehrentribüne und schwitzte in der Uniform eines jungen Edelmannes, die
zu tragen er mich bei solchen Anlässen zwingt, was mich eines schönen Tages
noch in siedendes Öl bringen wird, da ich eigentlich nicht zu irgendwelchen
Rangabzeichen berechtigt bin. Meister Li überließ das Protokollarische einem
Untergebenen, bis der Wirt Sechsten Grades Tu an der Reihe war, das Schwert zu
empfangen, und vertrieb sich die Zeit damit, seine Korrespondenz aufzuarbeiten.
Er beugte sich herüber und schrie mir, bemüht, den höllischen Lärm zu
übertönen, ins Ohr: »Etwas für dich, Ochse !«
    Er wedelte mit einem
Schreiben, das aussah, als wäre es mit den
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