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Öl!

Titel: Öl!
Autoren: Upton Sinclair
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Geschoss im Vorbeisausen, ein lautes, schnelles, knappes «Zusch!». Man erhaschte einen kurzen Blick auf einen anderen Mann mit Hornbrille, der in ganz ähnlicher Weise das Lenkrad umklammerte und die Augen starr geradeaus richtete. Nie blickte man zurück, denn bei fünfzig Meilen pro Stunde geht es um das, was vor einem liegt, und das Vergangene ist vergangen – oder soll man sagen, das Erfahrene ist erfahren? Schon kam ein weiteres Auto, und wieder musste man notgedrungen die komfortable Mitte des Betonbands verlassen und sich mit der genau taxierten Hälfte abzüglich einer bestimmten Zollzahl zufriedengeben. Jedes Mal hing das eigene Leben ab von der eigenen Fähigkeit, den Wagen auf die richtige Spur zu setzen – und von der Fähigkeit und Bereitwilligkeit des unbekannten anderen, das Nämliche zu tun. Man beobachtete dessen Geschoss im Augenblick des Heransausens, und wenn man merkte, dass er nicht die nötigen Zugeständnisse machte, hatte man es mit dem gefährlichsten aller zweibeinigen Säugetiere zu tun, mit dem Verkehrsrowdy. Vielleicht war es aber auch ein Betrunkener oder nur eine Frau – es blieb keine Zeit, das herauszufinden; man hatte noch eine Tausendstelsekunde, um das Lenkrad einen Zehntelzoll herumzureißen und mit den rechten Rädern in den Dreck zu fahren.
    So etwas geschah nur ein- oder zweimal im Lauf eines Tages. Und dann hatte Dad eine feststehende Formel dafür. Er schob die Zigarre in seinem Mund ein wenig zur Seite und murmelte: «Verdammter Idiot!» Es war das einzige Schimpfwort, das sich der ehemalige Maultiertreiber in Gegenwart des Jungen gestattete, und es war kein Fluch, sondern einfach der wissenschaftliche Fachbegriff für Verkehrsrowdys, Betrunkene und Frauen am Steuer sowie für Heufuhrwerke, Möbelwagen und riesige Laster, die in Kurven die ganze Straße blockierten, des Weiteren für Autos mit Wohnwagen, die zu schnell fuhren und hin- und herschwankten, und für Mexikaner in altersschwachen Pferdekarren, die nicht draußen auf dem nackten Erdboden blieben, wo sie hingehörten, sondern auf den Beton einschwenkten, und zwar genau dann, wenn ein Auto aus der Gegenrichtung kam, sodass man heftig auf die Bremse treten und nach der Handbremse greifen musste, um den Wagen quietschend und knirschend und schlimmstenfalls schleudernd zum Stehen zu bringen. Wenn es etwas gibt, was ein Autofahrer als Schande empfindet, dann ins Schleudern zu geraten, und Dad war überzeugt, dass die Geschwindigkeitsbegrenzungen eines Tages umgekrempelt würden. Dann wäre es verboten, auf staatlichen Highways weniger als vierzig Meilen die Stunde zu fahren, und wer lahmende Pferde vor klapprige Karren spannte, musste entweder querfeldein zuckeln oder gleich zu Hause bleiben.
    2
    Eine Barriere aus Bergen zog sich quer über die Straße. Aus der Ferne hatten sie blau ausgesehen und einen Baldachin aus Nebel gehabt; sie lagen gleichsam durcheinandergewürfelt da, ein Gipfel hinter dem anderen, und jedem spähte immer noch ein weiterer, etwas blasserer geheimnisvoll über die Schulter. Man wusste, dort musste man hinauf, und fragte sich gespannt, wo denn die Straße eine Bresche schlüge. Wenn man näher kam, veränderte sich der Farbton der meisten zu Grün, Grau oder einem bräunlichen Gelb. Es wuchsen keine Bäume da oben, nur Büsche in hunderterlei Schattierungen. Sie waren mit schwarzen, weißen, braunen oder roten Felsen und mit den blassen Flammen der Yuccapalme gesprenkelt, einer Pflanze, die einen dicken Stängel zehn Fuß oder höher in die Luft schob und ihn mit Unmengen kleiner Blüten behängte, genau in der Form einer Kerzenflamme, aber einer, die niemals im Wind flackerte.
    Nun begann die Straße ernstlich anzusteigen; sie schwang sich um die Schulter eines Berges, und da stand ein Verkehrsschild mit roter Schrift: «Guadalupe-Pass: In Kurven maximal 15 Meilen pro Stunde». Dad war nicht anzumerken, dass er lesen konnte, weder dieses Schild noch seinen Tachometer. Dad war der Meinung, dass Verkehrsschilder für Menschen bestimmt waren, die nicht Auto fahren konnten; für die wenigen Meister ihres Fachs lautete die Regel: «Fahr so schnell, wie es dir deine Hälfte des Highways erlaubt.» In diesem Fall lag die Straße rechts vom Sattel; man hatte den Berg zu seiner Rechten und hielt sich in den Kehren dicht an der Flanke; der Entgegenkommende hatte die Außenbahn, aber «das war sein Problem», wie man damals fröhlich zu sagen pflegte.
    Noch ein Zugeständnis machte Dad: Vor jeder
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