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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
Autoren: Alessandro Baricco
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Frieden?«
    »Nein«.
    »Das Gasthaus Saint Amand?«
    »Nein.«
    »Das Hotel Zur Post?«
    »Nein«.
    »Der Königliche Hering?«
    »Nein«.
    »Gut. Haben Sie ein Zimmer?«
    »Ja.«
    »Ich nehm’s.«
    Auf einem Holzpult wartete aufgeschlagen das Gästebuch. Ein frisch bezogenes Bett aus Papier, das auf die Träume neuer Namen wartete. Der Federhalter des Professors schlüpfte voller Leidenschaft unter die Decke.
     
    Ismael Adelante Ismael Prof. Bartleboom
     
    Mit Schnörkeln und allem drum und dran. Ein Prachtexemplar.
    »Der erste Ismael ist mein Vater, der zweite mein Großvater.«
    »Und der da?«
    »Adelante?«
    »Nein, der nicht … dieser hier.«
    »Prof.?«
    »Mhm.«
    »Professor natürlich, das heißt Professor.«
    »Was für ein dummer Name.«
    »Das ist kein Name … ich bin Professor, ich lehre, verstehen Sie? Ich gehe durch die Straßen, und die Leute rufen mir zu: guten Tag, Professor Bartleboom, guten Abend, Professor Bartleboom, aber das ist kein Name, das ist das, was ich tue, ich lehre …«
    »Kein Name.«
    »Nein.«
    »Na gut. Ich heiße Dira.«
    »Dira.«
    »Ja. Ich gehe durch die Straßen, und die Leute rufen mir zu: guten Morgen, Dira, gute Nacht, Dira, wie schön du heute aussiehst, Dira, was für ein hübsches Kleid du anhast, Dira. Hast du zufällig Bartleboom gesehen, nein, er ist in seinem Zimmer, erster Stock, das letzte am Ende des Korridors, hier sind die Handtücher, nehmen Sie, es liegt zur Meerseite, ich hoffe, das stört Sie nicht.«
    Professor Bartleboom – von dem Augenblick an einfach nur Bartleboom – nahm die Handtücher.
    »Fräulein Dira …«
    »Ja?«
    »Darf ich mir eine Frage erlauben?«
    »Nämlich?«
    »Wie alt sind Sie eigentlich?«
    »Zehn.«
    »Ach so.«
    Bartleboom – seit kurzem Exprofessor Bartleboom – nahm seine Koffer und machte sich auf den Weg zur Treppe.
    »Bartleboom …«
    »Ja?«
    »Man fragt junge Damen nicht nach dem Alter«.
    »Das stimmt. Verzeihen Sie.«
    »Erster Stock. Das letzte am Ende des Korridors.« 
     
    Im Zimmer am Ende des Korridors (erster Stock) gab es ein Bett, einen Schrank, zwei Stühle, einen Ofen, einen kleinen Schreibtisch, einen Teppich (blau), zwei völlig gleiche Bilder, einen Waschtisch mit Spiegel, eine Truhe und einen Jungen: Er saß auf dem Sims des (geöffneten) Fensters, hatte dem Zimmer den Rücken zugewandt, seine Beine baumelten im Leeren.
    Um irgendein beliebiges Geräusch zu machen, machte sich Bartleboom mit einem gemessenen Hüsteln bemerkbar.
    Nichts.
    Er betrat das Zimmer, stellte die Koffer ab, ging nah an die beiden Bilder heran (völlig gleich, kaum zu glauben), setzte sich aufs Bett und zog mit spürbarer Erleichterung die Schuhe aus, stand wieder auf, schaute sich im Spiegel an, stellte fest, daß er immer noch er selbst war (man kann ja nie wissen), nahm den Schrank kurz in Augenschein, hängte seinen Mantel hinein und ging zum Fenster hinüber.
    »Gehörst du zum Mobiliar, oder bist du zufällig hier?«
    Der Junge bewegte sich keinen Millimeter. Wenigstens gab er Antwort:
    »Mobiliar.«
    »Aha.«
    Bartleboom ging zurück zum Bett, knotete die Krawatte auf und streckte sich aus. An der Decke Feuchtigkeitsflecken wie schwarzweiß gemalte tropische Blumen. Er schloß die Augen und schlief ein. Er träumte, daß man ihn aufgefordert hatte, das Riesenweib beim Zirkus Bosendorf zu vertreten, und als er in der Manege war, erkannte er in der ersten Reihe seine Tante Adelaide, eine feine Dame mit allerdings zweifelhaften Sitten, die zuerst einen Piraten küßte, dann eine Frau, die so aussah wie sie selbst, und schließlich eine hölzerne Heiligenstatue, die wohl gar keine richtige Statue war, da sie auf einmal zu laufen anfing, geradewegs auf Bartleboom zukam und dabei irgend etwas brüllte, was nicht recht zu verstehen war, aber das Mißfallen des gesamten Publikums erregte, und zwar so sehr, daß er – Bartleboom – sich gezwungen sah, wegzulaufen, so schnell er konnte, und sogar auf den hochverdienten Lohn von – um es genau zu sagen – 128 Talern verzichtete, der mit dem Zirkusdirektor ausgehandelt war. Er wachte auf. Der Junge war noch da. Nur, daß er sich umgedreht hatte und zu ihm hinschaute. Mehr noch, er sprach ihn an.
    »Waren Sie eigentlich mal im Zirkus Bosendorf?«
    »Bitte?«
    »Ich habe Sie gefragt, ob Sie jemals drin waren, im Zirkus Bosendorf.«
    Bartleboom setzte sich im Bett auf.
    »Was weißt denn du vom Zirkus Bosendorf?«
    »Nichts. Nur, daß ich ihn gesehen habe, er ist voriges Jahr
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