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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
Autoren: Alessandro Baricco
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über den lustigen Briefregen – lächelnd zu dem Mann sagen:
    »Du bist verrückt.«
    Und für alle Zeit wird sie ihn lieben.

4
     
    »Pater Pluche …«
    »Ja, Herr Baron.«
    »Morgen wird meine Tochter fünfzehn.«
    »…«
    »Vor acht Jahren habe ich sie in Ihre Obhut gegeben.«
    »…«
    »Sie haben sie nicht geheilt.«
    »Nein.«
    »Sie wird eines Tages heiraten müssen.«
    »…«
    »Sie wird dieses Schloß verlassen und in die Welt hinaus müssen.«
    »…«
    »Sie soll Kinder bekommen und …«
    »…«
    »Kurz und gut, sie wird doch anfangen müssen zu leben, endlich einmal.«
    »…«
    »…«
    »…«
    »Pater Pluche, meine Tochter muß geheilt werden.«
    »Ja.«
    »Finden Sie jemand, der sie heilen kann. Und bringen Sie ihn her.«
     
    Der berühmteste Doktor im Land hieß Atterdel. Viele hatten mit angesehen, wie er Tote zum Leben erweckte, Leute, die schon mehr drüben als hüben, die genaugenommen schon gegangen, geliefert waren, und er hatte sie aus der Hölle geangelt und dem Leben zurückgegeben, was, wenn man so will, auch etwas peinlich, manchmal gar unangebracht war, doch muß man Verständnis dafür haben, denn das war nun mal sein Handwerk, und niemand beherrschte es so gut wie er, so daß die betroffenen Auferstandenen, ihre Freunde und alle Verwandten wohl oder übel wieder von vorn anfangen und Tränen und Erbe auf bessere Zeiten verschieben mußten; beim nächsten Mal werden sie wahrscheinlich rechtzeitig darüber nachdenken und einen normalen Doktor rufen, einen von denen, der sie umbringt und basta, und nicht so einen wie diesen hier, der sie wieder auf die Füße stellt, nur weil er der berühmteste im ganzen Land ist. Und der teuerste sowieso.
    Pater Pluche dachte also an Doktor Atterdel. Nicht, daß er den Ärzten in besonderem Maße vertraute, das nicht, aber in allen Belangen, bei denen es um Elisewin ging, fühlte er sich gehalten, mit dem Kopf des Barons zu denken statt mit dem eigenen. Und des Barons Kopf dachte, wo Gott scheiterte, könnte womöglich die Wissenschaft es schaffen. Gott war gescheitert. Jetzt war Atterdel an der Reihe.
    Er kam in einer schwarzen, glänzenden Kutsche zum Schloß, als ob er Trauer trüge, machte dabei aber gleichwohl einen imposanten Eindruck. Schnellen Schrittes stieg er die Treppe hinauf, und als er vor Pater Pluche stand, fragte er, fast ohne ihn anzuschauen:
    »Sind Sie der Baron?«
    »Schön wär’s.«
    Das war typisch Pater Pluche. Er konnte sich einfach nicht beherrschen. Er sagte nie, was er eigentlich hätte sagen sollen. Vorher kam ihm immer etwas andres in den Sinn. Einen Augenblick vorher. Der aber war mehr als ausreichend.
    »Dann sind Sie Pater Pluche.«
    »Richtig.«
    »Sie also haben mir geschrieben.«
    »Ja.«
    »Nun, Sie haben eine eigentümliche Art zu schreiben.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie brauchten nicht alles in Versform zu schreiben. Ich wäre trotzdem gekommen.«
    »Sind Sie sich dessen sicher?«
    Hier zum Beispiel wäre die richtige Antwort gewesen:
    »Verzeihen Sie, das war eine alberne Spielerei«, und in der Tat kam dieser Satz perfekt zusammengesetzt in Pater Pluches Kopf an, geradlinig und sauber, doch mit einem winzigen Augenblick Verspätung, so daß ihm von ganz unten her ein dummes Geplapper nach oben rutschte, das – sobald es an der stummen Oberfläche auftauchte – sich in unwidersprechlicher Klarheit als die gänzlich unpassende Frage herauskristallisierte:
    »Sind Sie sich dessen sicher?«
    Atterdel richtete seinen Blick auf Pater Pluche. Eigentlich war es mehr als ein Blick. Es war eine ärztliche Untersuchung.
    »Ich bin mir sicher.«
    Das haben sie Gutes an sich, die Männer der Wissenschaft: Sie sind sich sicher.
    »Wo ist das junge Mädchen?« 
     
    »Ja … Elisewin … So heiße ich. Elisewin.«
    »Ja, Herr Doktor.«
    »Nein, wirklich nicht, ich habe keine Angst. Ich spreche immer so. Das ist meine Stimme. Pater Pluche sagt …«
    »Danke, mein Herr.«
    »Ich weiß auch nicht. Die sonderbarsten Dinge. Aber es ist keine Angst, wirkliche Angst, es ist etwas anderes … die Angst kommt von außen, das habe ich schon begriffen, man steht da, und die Angst kommt über einen, du bist da, und sie ist es auch … so ist das … sie ist da, und ich bin auch da. Was mir hingegen geschieht, ist, daß ich auf einmal nicht mehr da bin, nur sie ist noch da … das ist aber nicht die Angst … ich weiß nicht, was es ist, wissen Sie es?«
    »Ja, mein Herr.«
    »Ja, mein Herr.«
    »Ein bißchen ist es wie
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