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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Autoren: Gerbrand Bakker
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wir morgen?« frage ich.
    »Was unser Herz uns eingibt. Zuerst stehen wir mal auf und trinken eine Tasse Kaffee.«

    Ich habe ihn nach seiner Nase gefragt, nach seinen Eltern, nach Friesland, nach seinem Hund. Ich habe ihn gefragt, wie er damals zu Vater und Mutter gekommenwar. »Du fragst und fragst, Eselmann«, sagt er dann. »Was willst du bloß von mir?« Er wollte nur von seinem Hund erzählen. Der war ein paar Tage vor dem Jahreswechsel gestorben. An einem Samstag, kurz nachdem er selbst von einem Kartenabend mit drei Freunden nach Hause gekommen war. Er hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, und der Hund hatte ihm seinen alten Kopf in den Schoß gelegt. Nach einiger Zeit war der Hundekopf plötzlich schwer geworden, und er hatte zu spüren geglaubt, wie in den Adern unter seiner Hand das Blut stockte. »Er sank einfach in sich zusammen«, sagte er, »wie eins von diesen Spielzeugfigürchen, diesen Männchen, die man zusammenklappen lassen kann, wenn man auf den Knopf in ihrem Sockel drückt.«
    »Du hast also Freunde bei dir in Friesland?« fragte ich.
    Er seufzte und sagte nichts mehr.

    Er zeigt auf den regenfeuchten Kirschbaum mitten im Garten. »Wir müssen noch mindestens einen Monat hierbleiben.«
    »Von mir aus gern«, sage ich. »Ich mag Kirschen.« Ich gehe ins Haus und gieße uns zwei Tassen Kaffee ein. Als ich wieder auf die Terrasse komme, sehe ich, daß die letzten dunklen Wolken sich verzogen haben. Die Sonne scheint. Hier im Norden wird es erst sehr spät dunkel. Ich stelle die Kaffeetassen auf den Gartentisch und lege eine Tafel Zartbitterschokolade daneben.
    »Warum hast du dir nicht wieder einen Hund gekauft?«
    »Irgendwann ist einfach Schluß.«
    »Oder auch nicht.«
    »Es tut immer weh, wenn so ein Tier stirbt.«
    »Sicher.«
    »Weil die Frau von einem meiner Kartenkumpel gestorben war. Der kam zu mir und trank meinen Genever weg und sagte so Sachen wie ›Ich habe sie nicht verlieren wollen‹ oder ›Ich mußte sie loslassen‹. Das ärgerte mich, jemand stirbt oder stirbt nicht, da ist nicht viel zu wollen. Jedenfalls hatte er Kummer, und mein Hund spürte das und legte ihm den Kopf in den Schoß. Das war etwas, das er sonst nie machte. Und der Mann beachtete ihn gar nicht. Den Gedanken konnte ich nicht ertragen: daß das Tier kurz vor seinem Tod noch so freundlich zu dem Mann war und ihm was Gutes tun wollte, weil er Kummer hatte, und daß der nicht darauf reagiert hat.« Er bricht ein Stück Schokolade ab, legt es sich auf die Zunge und nimmt einen Schluck Kaffee. Sein Mund ist geschlossen, aber ich kann die Schokolade schmelzen sehen. »Freunde«, sagt er dann, mit schiefem Grinsen. »Genügt das? Freunde zum Kartenspielen, Haus und Garten gut in Schuß, Gewerkel im Schuppen, ein Hund, Genever und ein bißchen Geld auf der Bank?«
    Er hat nicht mehr den Zahn mit der abgebrochenen Ecke. Eine Krone?
    »Woher wußtest du eigentlich, daß Vater tot war?« frage ich.
    »Das wußte ich ja gar nicht.«
    »Also war es Zufall, daß du ausgerechnet an dem Tag zurückgekommen bist.«
    »Ja.«
    »Es gibt keinen Zufall.«
    »Natürlich gibt es den. Ich dachte, ich fahre, und bin gefahren. Ich wollte die Obstblüte in Westfriesland sehen. Aber ich hab nicht viel gesehen, es war neblig. Ich könnte genausogut dich fragen, warum du aus dem Haus kamst, als ich gerade am Knechtshaus angekommen war.«
    Zufall, denke ich.
    »Vielleicht wär ich nicht mal zum Hof gefahren, wenn du nicht zu mir gekommen wärst.« Er wiederholt das Schokoladenritual. In der Ferne ruft der Waldkauz. Zum ersten Mal bekommt er eine Antwort, ganz aus der Nähe. »Und wo wärst du dann jetzt?«
    »Ja«, sage ich. »Wo wär ich jetzt.«
    Wir starren beide in den Garten. Ich denke an Riet und Henk. Den jungen Henk. An den jungen Milchfahrer, an den Viehhändler (den alten, den Henk auch noch kennengelernt hat), an Ada. Ich überlege, was ich ihm alles erzählen werde, oder will. Plötzlich interessiert mich die Zeit zwischen seinem Weggang und seiner Rückkehr nicht mehr. Nicht einmal die Zeit, bevor er zu uns kam. Was spielt das alles schon für eine Rolle? Morgen stehen wir zuerst mal auf und trinken eine Tasse Kaffee, und anschließend tun wir, »was unser Herz uns eingibt«.
    »Ich hab im Grunde nie gelernt, wie man Dinge allein macht«, sage ich.
    Langsam wendet er mir den Kopf zu. »Trink mal deinen Kaffee aus, Eselmann. Wird Zeit für eine Runde Karten.« Er steht auf und geht ins Haus.
    Er hat recht, es wird Zeit für eine
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