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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Autoren: Gerbrand Bakker
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antreffen würde.«
    »Henk ist tot«, sage ich.
    »Ach. Seit wann?«
    »April 1967.«
    »Das ist lange her. Und jetzt bist du der Bauer.«
    »Ja. Mutter ist auch tot, und Vater liegt im Wohnzimmer im Sarg.«
    Er kneift einen Moment die Augen zu. Es sind ja auch reichlich viele Tote auf einmal. Dann dreht er sich um. »Und das Knechtshaus ist abgebrannt.«
    »Ja«, sage ich zu seinem Rücken. »Amsterdamer. Ferienhaus.« Ich fröstele, ich bin ohne Jacke aus dem Haus gegangen.
    Er betrachtet noch einen Moment die Mauerreste und dreht sich dann wieder zu mir um. Er legt mir die Hand auf die Schulter. »Komm«, sagt er. »Ich möchte mich von deinem Vater verabschieden.« Er geht zum Wagen. Sehr aufrecht geht er, die Widerspenstigkeit ist noch nicht verschwunden. Ich folge ihm und setze mich auf den Beifahrersitz. Er legt den Rückwärtsgang einund lenkt den Wagen auf die Straße. Langsam fahren wir nach Südwesten, zum Hof.
    »Hier riecht’s nach Hund«, sage ich. Das kann ich riechen, obwohl wir nie einen Hund hatten.
    Er schaut mich an und lächelt. »Der hat immer da gesessen, wo du jetzt sitzt.« Weil er mich anschaut, sieht er die Esel. »Sind das deine Esel?«
    Ich nicke.
    Wieder lächelt er. »Ja«, sagt er dann. »Ich glaube, du bist ein Eselmann.«

IV

55
    Es gibt hier ein Dünengebiet, das Heather Hill heißt. Vor langer Zeit kam ein reicher Engländer an diese Küste. Er ließ auf der
     höchsten Düne ein großes Haus bauen und einen Garten mit Wasserspielen, Mäuerchen und Wegen anlegen. Weil er Engländer war und die Dünen bei seiner
     Ankunft ganz von Heidekraut bewachsen waren, nannte er sein Landgut Heather Hill. Er ertrank beim Schwimmen im Meer, und das Haus steht schon lange nicht
     mehr. Von dem Garten sind nur noch ein versandeter Teich und ein paar Sträucher übrig. Auf Heather Hill weiden Schafe von einer Rasse, die ich nicht
     kenne, mit dunklen Köpfen und langen Hängeohren. Viel zahmer als meine Schafe, sie sind an Menschen gewöhnt, die hier spazierengehen oder schwimmen. Auf
     der Seeseite ist die Düne im Grunde ein Kliff, das senkrecht zum schmalen Geröllstrand abfällt. Das Meer ist nicht die Nordsee. Hier sieht man keine
     kahlen, mühsam mit angepflanztem Strandhafer zusammengehaltenen Sanddünen und keine krummgewehten Kiefern. Hier wächst das Gras fast bis ins Wasser, und
     nur zehn Meter von der Strandlinie entfernt gedeihen sogar Buchen und Eichen. Ich habe das Wasser probiert, es ist brackig, etwas salziger als das Wasser
     des IJsselmeers. Ich kenne die Karte von Dänemark fast auswendig, vor allem Seeland, aber Râgeleje kannte ich nicht, und ausgerechnet da sind wir. Obwohl man das eigentlich kaum glaubt, wenn man die Dänen den Namen aussprechen hört. Dänisch ist eine merkwürdige, vernuschelte Sprache. Ich verstehe kein Wort; er sagt, daß er erfaßt, was gemeint ist. Wie das denn sein kann, wollte ich wissen. »Ich bin Friese«, sagte er nur. Der Inhaber des Heather Hill Grill, auf einem Parkplatzan der Küstenstraße, hat ihm die Geschichte von dem Engländer erzählt; gut möglich, daß in Wirklichkeit alles ein bißchen anders gewesen ist. Wir essen da oft eine Wurst. Dänen sind wild auf Würstchen.

    Wir schwimmen jeden Tag. Das Wasser ist kalt, aber klar. Alle drei Tage müssen wir die Steine, die wir zur Seite geworfen haben, um leichter ins Wasser zu kommen, erneut zur Seite werfen. Wir schwimmen immer an derselben Stelle, wo der Weg, der von der Küstenstraße über Heather Hill zum Meer führt, auf den Geröllstrand trifft. Von der Straße aus geht man durch ein Fallgatter und kurz vor dem Strand durch ein zweites. Die Schafe müssen auf Heather Hill bleiben, um das Gras kurzzuhalten und Birkenschößlinge abzufressen. Es ist ruhig am Strand, die Dänen haben noch keine Ferien. Wenn wir nach rechts schauen, sehen wir bei klarem Wetter in der Ferne die Küste von Schweden. »Da müssen wir auch mal hin«, sagt er. Dann nicke ich. Helsingør ist nicht weit, und von dort fahren Schiffe nach Helsingborg. Über dem Kliff segeln Nebelkrähen. Sie schlagen nicht mit den Flügeln, sie lassen sich von der aufsteigenden Luft tragen, ohne von der Stelle zu kommen. Am Wochenende sind die Nebelkrähen nicht da. Dann springen Männer und Frauen an Gleitschirmen vom Kliff. Manchmal segeln sie kilometerweit, bevor sie umkehren und wieder auf der höchsten Erhebung von Heather Hill landen. Wie hoch sie segeln, hängt von der Höhe der Dünen ab. Wir schwimmen nackt, hier
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